„Das brennende Herz…“
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Die Abschlussrede von Christoph Kardinal Schönborn:
Schwestern und Brüder, ich gestehe schon, dass ich mich manchmal ein bisschen von euch überfordert fühle. Aber das ist wohl richtig so. Ich sage immer,

Schwestern und Brüder, ich gestehe schon, dass ich mich manchmal ein bisschen von euch überfordert fühle. Aber das ist wohl richtig so. Ich sage immer, wenn ich Lob bekomme und man zum Beispiel sagt: „Oh, Herr Kardinal, die Predigt war so toll“: „Die Flasche freut sich, wenn sie guten Wein enthalten darf.“ Denn mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Hirte. Dieses „mit euch“, das hat schon Augustinus gesagt, das „für euch“ erschreckt mich.

Wir sind am Anfang der Diözesanversammlung ausgegangen von der Emmaus-Perikope: „Sie blieben stehen, traurig.“ Aber sie sind nicht stehen geblieben, sie sind nicht bei ihrer Trauer stehen geblieben. Sie sind nicht mehr alleine. Es hat sich einer ihnen zugesellt. Sie kennen ihn noch nicht, es ist ein Fremder, aber er spricht zu ihnen in einer ganz bewegenden Weise von der Schrift. Und er zeigt ihnen aus der Schrift, dass der Messias das alles leiden musste, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen.

Vor einigen Wochen hatte ich ein Gespräch mit einem „Ausgetretenen“. Ich biete Ausgetretenen an, sie können auch, wenn sie wollen, mit mir sprechen. Manche machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Es war ein Mann mittleren Alters und ich habe mir erwartet, jetzt werden die üblichen Litaneien von Vorwürfen kommen gegen die Kirche, die wir alle kennen und zum Teil auch sehr gut kennen. Dann ist etwas ganz anderes passiert. Er hat vom Vater gesprochen, Gott-Vater. Und in kürzester Zeit waren wir in einem Glaubensgespräch, wie ich es schon jahrelang nicht erlebt habe. Es war ein mir fremder Mensch eben aus der Kirche ausgetreten, der in einer Weise mich hineingenommen hat in eine Begegnung mit Gott in diesem Moment, die ich nicht vergessen kann. Und das ist eigentlich für mich der Leitstern der Mission, der Evangelisierung. Dieses wunderbare Phänomen, das Regina Polak angesprochen hat, mit dem Beispiel der syro-phönizischen Frau, die Jesus etwas beigebracht hat, wo Jesus zunächst abgeblockt hatte: „Nein, nein, ich bin nur für die Juden da, ich bin nicht für euch da“, und dann fast brutal: „Die Hunde kriegen das Essen nicht, das ist für die Kinder.“ Aber die Frau lässt nicht locker und sagt: „Du hast recht, Herr, aber die Hunde dürfen auch die Brösel essen, die vom Tisch der Kinder fallen.“ Und dann dieses Wort Jesu: „Frau, dein Glaube ist groß.“ Eine Heidin!

Dieser „Ausgetretene“ war ein Getaufter, er war von der Kirche enttäuscht, aber sicher nicht von Gott. Und ich glaube, die Herausforderung für uns ist, diese Momente wahrzunehmen. „Vom Glück der ersten Stunde oder Wie ich anfing, missionarisch zu sein“ haben wir diesen Vormittag betitelt.  Mein erstes Missionserlebnis hatte ich bewusst mit 15 in Salzburg bei Verwandten. Da war ein Mann, vielleicht 35 Jahre alt, mit dem ich am Abend in der Wohnung der Verwandten ins Gespräch kam und es stellte sich heraus, er war ein rabiater Atheist. Ich war ganz erschüttert, dass es das gibt, einen kämpferischen Atheisten, dem war ich noch nicht begegnet. Ich habe lange, lange in dieser Nacht als 15-jähriger mit ihm gerungen, diskutiert. Ich weiß nicht, was daraus geworden ist, aber es hat mich bewegt, einem Menschen zu begegnen, der einfach ganz entschieden sagt: „Nein, das stimmt alles nicht.“

Die dritte Missionserfahrung – ich entschuldige mich bei denen, die in Salzburg dabei waren, wo ich das schon einmal erzählt habe – war eine Eisenbahnfahrt von Innsbruck nach Wien. In Innsbruck steigt eine Horde von schon leicht angetrunkenen Maturanten in den Großraumwagen, wo ich meinen reservierten Platz hatte. Sie haben sich ziemlich lautstark niedergelassen. Ich hatte mein Brevier in der Hand als frommer Geistlicher und wollte beten. Diese jungen Leute haben mich schnell erkannt, sie begannen, “Hölzer zu werfen“, machten spöttische Bemerkungen untereinander. Ich habe es nicht weiter gebracht, als gelegentlich zu grinsen, also freundlich ihnen zuzulächeln. In Salzburg sind sie dann ebenso lautstark ausgestiegen. Und als der Zug weiterfuhr, habe ich weinen müssen über mich. Da ist eine Gruppe, eine ganze Schulklasse von Maturanten und da sitzt der Kardinal in dem Waggon und macht den Mund nicht auf. Ich hätte ja nur fragen müssen: „Na, wie war die Matura? Ist es gut gegangen? Wie ist es euch gegangen?“ Nichts. Die waren unterwegs in die Türkei zum „Mega splash“. Eltern wissen, was das ist. Und ich habe mir nachher gesagt: „Herr, was hast du dir da für einen Missionar ausgesucht?“ Missionserfahrung in der Negativfolie.

„Brannte nicht unser Herz, als er uns unterwegs die Schrift erschloss“: Müssen wir nicht einfach ganz konkret und direkt und eigentlich jeden Tag den Heiligen Geist bitten: Gib mir einen „Stoß“, wenn der Moment da ist, dass ich das „Maul“ aufmache, dass ich auf jemanden zugehe, zuhöre, merke, sehe, wahrnehme, Empathie habe, Interesse. Ich glaube, die Mission ist etwas ganz, ganz einfaches. Es ist nur das wache Herz, das Herz, das bereit ist zu sehen, wo der Herr schon am Werk ist. Und das ist eine unvergleichliche Freude. Jeder und jede von Ihnen, die diese Erfahrung gemacht haben - und ich bin sicher, Sie haben sie alle gemacht – weiß, dass man da süchtig werden kann. Das möchte man wieder erleben. Dieses Miteinander, das dann plötzlich aufblitzt, auch wenn man nicht weiß, was daraus wird, ob da jetzt jemand ein Schäfchen mehr in der katholischen Kirche wird oder nicht…. Es ist etwas geschehen, es hat sich etwas ereignet: Der Herr ist da. Ich glaube, so funktioniert die Mission. Da ist nichts übergestülpt, nichts aufgesetzt, da wird niemand manipuliert und nicht zwangsbeglückt. Da findet Begegnung statt und wie Jesus es verheißen hat: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“

Zwei Bemerkungen, eine zur Priesterausbildung und eine zu uns allen. Ich sage oft im Priesterseminar im Gespräch mit den Seminaristen: „Damit jemand Priester werden kann, erwarte ich nur zwei Dinge: Er muss eine Leidenschaft für Gott haben und eine Leidenschaft für die Menschen. Und wenn ihr die eine oder die andere oder beide nicht habt, dann lasst es bitte sein.“ Ob jemand dann große Organisationstalente hat, Leadership usw., das ist alles sekundär, das kann man dazulernen. Aber wenn eine echte Leidenschaft für Gott da ist und eine echte Leidenschaft für die Menschen, dann wird der ein guter Hirte, auch wenn er die Sprache vielleicht noch nicht so gut kann. Ich kenne Priester aus anderen Ländern, die bei uns tätig sind, die auch noch nach Jahren nicht sehr gut deutsch können, die aber ein solches Herz für die Menschen haben, eine solche spürbare Liebe zu Gott, dass sie von ihren Gemeinden geliebt werden. Und ich bitte Sie alle, uns alle: Helfen wir unseren Priestern, dass sie ihr Herz nicht verhärten: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht.“ (Psalm 95, jeden Tag in der Früh im Brevier) Und es ist etwas wunderbares, wenn Menschen, Priester, wir alle,vielleicht nach Jahren der Verhärtung aufbrechen. Wenn sich etwas tut und man spürt, die Liebe Christi hat hier Raum gefunden, da hat sich etwas bewegt. Das verändert die Welt. Das verändert unsere Gemeinden und das verändert die Welt.

Und ein zweites, dann bin ich schon am Schluss: Mich hat sehr beeindruckt, was Regina Polak uns ins Stammbuch geschrieben hat aus der ersten Diözesanversammlung: Bekenntnisse ohne Begründungen bleiben Behauptungen. Ich glaube, wir brauchen alle mehr Vernunft in unserem Glauben, mehr Auskunftsfähigkeit. Wir müssen über unseren Glauben auch Rechenschaft geben können. Warum glaubst du das? Was bedeutet dir das? Wie begründest du das? Ich glaube, das Zeugnis braucht, wie Regina Polak gesagt hat, gute und vernünftige Gründe. Jetzt sage ich ein großes Danke: Ihnen allen, für dieses wirklich außergewöhnliche Abenteuer, auf dem wir unterwegs sind. Es ist für uns alle ein spannender Weg. Und ich danke, dass es möglich ist, diesen Weg in dieser Offenheit zu gehen. Und wir müssen uns, koste es, was es koste, diese Offenheit erhalten. Das ist nicht ein Alibi, dass man alles zudeckt, sondern das brauchen wir, weil wir Hörende sein sollen, Jünger Jesu, das heißt Lernende. Wir müssen voneinander lernen und wir müssen füreinander lernen. Behalten wir uns diese Offenheit und trauen wir uns, den Weg weiterzugehen.

(red)


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