Grüß Gott und guten Morgen!
Zunächst ganz herzlichen Dank für diese freundlichen Worte zur Einleitung. Es ist natürlich für mich sehr bedauerlich, dass P. Mertes nicht zu Ihnen sprechen kann. Das tut mir sehr leid für Sie. Für mich persönlich ist es allerdings auch eine große Freude, denn auf diese Weise habe ich ganz unverhofft die Gelegenheit, wenigstens einen Teil Ihrer Diözesanversammlung mitzuerleben. Ich muss sagen, das ist für mich ein ganz großes Geschenk, zu sehen, wie Sie hier gemeinsam nach neuen Wegen suchen, die Mission in Ihrer Diözese konkret werden zu lassen, wie Sie nach neuen Wegen suchen, von der Liebe Gottes Zeugnis zu geben und die Liebe Christi unter Ihnen und in Ihrer Umgebung bekannt zu machen. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir eines Tages in unserer Diözese in Berlin solch ein Ereignis auch erleben dürfen.
Sie haben gehört, aus welchen Gründen P. Mertes heute nicht hier sein kann. Seit ich gestern Abend unter Ihnen sein konnte, habe ich in vielen Gesprächen eine ganz ähnliche Erschütterung über die Enthüllungen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, aber auch weit darüber hinaus gespürt. Heute Morgen in den Nachrichten von Ö 3 war die erste Nachricht, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz nach Rom reist und mit dem Papst über diese Fragen spricht. Ich selber, der ich ja an dieser Schule unterrichte, an der diese Enthüllungen zum ersten Mal bekannt wurden, erlebe diese Ereignisse als ein Leiden an der Kirche und ein Leiden mit der Kirche. Ich erlebe sie als eine persönliche Anfrage auch an mich, an meine Solidarität mit der Kirche und damit gewinnt auch die Frage nach dem Sinn meiner Taufe eine neue Brisanz und eine neue Aktualität. Und so stellt sich auch für mich persönlich die Frage wieder neu nach meiner Lebensgestaltung als getaufter Christ unter diesen Umständen. Durch diese Nachrichten über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gewinnt aber auch die Frage nach der rechten Weise und nach der rechten Haltung in der Mission eine neue Bedeutung und eine neue Aktualität. Darauf möchte ich nachher noch ein wenig eingehen.
Ich schlage vor, dass wir uns der Frage nach dem „Wie“ der Mission und nach rechten Haltung in der Mission nähern, indem wir zunächst das Kapitel 10 der Apostelgeschichte ein wenig näher in den Blick nehmen, in dem von der Taufe des Cornelius die Rede ist. In einem zweiten Schritt möchte ich Vers 10,20 näher betrachten und ihn auf seine Bedeutung für Mission heute befragen.
Apg 10
Wir befinden uns etwa in der Mitte der dreißiger Jahre des 1. Jahrhunderts, also wenige Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu. Ein Schauplatz der Handlung ist Cäsarea, seit 6 n. Chr. Residenz des römischen Prokurators und Garnisonsstadt seiner Truppen. Zu der dort stationierten sogenannten Italischen Kohorte gehört auch der Centurio (Anführer einer Hundertschaft) Cornelius, von dessen Taufe in diesem Kapitel die Rede ist: 10,1: In Cäsarea lebte ein Mann namens Cornelius, Hauptmann in der sogenannten Italischen Kohorte; er lebte mit seinem ganzen Haus fromm und gottesfürchtig, gab dem Volk reichlich Almosen und betete beständig zu Gott. Er sah um die neunte Tagesstunde in einer Vision deutlich, wie ein Engel Gottes bei ihm eintrat und zu ihm sagte: Cornelius! Cornelius blickte ihn an und fragte erschrocken: Was ist, Herr? Er sagte zu ihm: Deine Gebete und Almosen sind zu Gott gelangt, und er hat sich an sie erinnert.Schick jetzt einige Männer nach Joppe und lass einen gewissen Simon herbeiholen, der den Beinamen Petrus hat. Er ist zu Gast bei einem Gerber namens Simon, der ein Haus am Meer hat. Als der Engel, der mit ihm sprach, weggegangen war, rief Cornelius zwei seiner Haussklaven und einen frommen Soldaten aus seinem Gefolge. Er erzählte ihnen alles und schickte sie nach Joppe.
Die Stadt Joppe ist knapp 60 Kilometer von Cäsarea entfernt: Sie heißt heute Jaffa und ist ein südlicher Stadtteil von Tel Aviv.
Es ist um die Mittagszeit. Petrus befindet sich auf der Dachterrasse des Hauses, in dem er zu Gast ist, um zu beten. Da kommt eine „Verzückung“ über ihn: Er sah den Himmel offen und eine Schale auf die Erde herabkommen, die aussah wie ein großes Leinentuch, das an den vier Ecken gehalten wurde. Darin lagen alle möglichen Vierfüßler, Kriechtiere der Erde und Vögel des Himmels. Und eine Stimme rief ihm zu: Steh auf, Petrus, schlachte und iss! Petrus aber antwortete: Niemals, Herr! Noch nie habe ich etwas Unheiliges und Unreines gegessen. Da richtete sich die Stimme ein zweites Mal an ihn: Was Gott für rein erklärt, nenne du nicht unrein! Das geschah dreimal, dann wurde die Schale plötzlich in den Himmel hinaufgezogen.
Jetzt folgt der Text, den wir schon in der Lesung gehört haben: Petrus war noch ratlos und überlegte, was die Vision, die er gehabt hatte, wohl bedeutete; inzwischen hatten sich die von Cornelius gesandten Männer zum Haus des Simon durchgefragt und standen am Tor. Sie riefen und fragten, ob Simon mit dem Beinamen Petrus hier zu Gast sei. Während Petrus noch über die Vision nachdachte, sagte der Geist zu ihm: Da sind zwei Männer und suchen dich. Steh auf, geh hinunter und zieh ohne Bedenken mit ihnen; denn ich habe sie geschickt. Petrus stieg zu den Männern hinab und sagte: Ich bin der, den ihr sucht.
Da erklären die Boten des Cornelius, ihr Herr habe sie geschickt, um Petrus in sein Haus nach Cäsarea einzuladen. Daraufhin macht sich Petrus am folgenden Tage auf den Weg zu Cornelius.
Was geht in Petrus vor, während er auf dem Dach des Hauses betet? – Es heißt: Er empfindet Abscheu beim Anblick von „allen möglichen Vierfüßlern (vermutlich einschließlich Schweinefleisch), „Kriechtieren der Erde und Vögel des Himmels.“ Die Speisegesetze der Juden sind für ihn keineswegs nur eine äußerliche Norm, deren inneren Sinn er nicht einsieht und an die er sich bloß äußerlich hält. Vielmehr überkommt ihn der Ekel in einer „Verzückung“, also unbewusst. Es ist eine tief verinnerlichte Barriere, die zurückreicht in die Zeiten der Vorfahren, und die repräsentativ ist. „Niemals“, ruft er, „niemals habe ich etwas Unheiliges und Unreines gegessen“. Die Abwehr sitzt tief, der Ruf „schlachte und iss!“ ist für ihn eine Provokation, die eben diese Abwehrreaktion bei ihm auslöst.
Erst im Nachhinein, bei der Begegnung mit dem heidnischen Hauptmann, wird ihm der Sinn seiner Vision klar: „Jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht.“ Auch dieses Begreifen geschieht nicht aus eigenem Willen, genauso wenig wie der Gang nach Cäsarea, wie der Schritt über die Schwelle des Hauses der römischen Familie. Es ist einer dieser Augenblicke, in der der Leser der Geschichte förmlich den Groschen bei Petrus fallen hört. Es macht „klick“: „Jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht“.
Mit „Person“ ist nicht unser moderner Person-Begriff gemeint, sondern die per-sona, die Maske, welche Schauspieler im antiken Theater tragen. Gott sieht nicht auf das, was uns Juden und Nichtjuden äußerlich voneinander unterscheidet, er sieht nicht auf die unterschiedlichen Masken, die wir tragen. Er sieht vielmehr das, was uns innerlich eint. Die Speisegesetze der Tora trennen mich vor Gott nicht von dem römischen Hauptmann. Auch in der Familie des römischen Hauptmanns weht der Geist Gottes. Gott macht an dieser Grenze nicht halt. Ich kann, ich darf, ich soll die Schwelle zu ihm überwinden.
Diese Überwindung der über Jahrhunderte gewachsenen Abscheu vor dem Anderen und das elementare Begreifen ergeben in der Summe den Übertritt über die Schwelle und die neue, bis dahin undenkbare Mahlgemeinschaft mit den Nicht-Juden. Wer solche Schwellen überschreitet, lässt etwas hinter sich zurück. Insbesondere die Zurückgelassenen werden diesen Schritt des Petrus als Abwertung erleben: „Du verletzt mich mit diesem Schritt“, sagt der Herrenbruder Jakobus sinngemäß zu Petrus, „du wertest die Tora ab, du behauptest mit diesem Schritt, dass wir alle falsch gelebt haben oder falsch leben, wenn wir jetzt dem Gesetz treu bleiben.“ Wie wir aus dem Galaterbrief (vgl. Gal 2, 12f) wissen, konnten diese Bedenken aus dem Herkunftsmilieu Petrus verunsichern, und zwar so weit verunsichern, dass er von der Mahlgemeinschaft mit den Heidenchristen abrückte, wenn Judenchristen den Raum betraten.
Doch der Schritt in die Mahlgemeinschaft mit den Nichtjuden bedeutet keine Abwendung von der Tora. An keiner Stelle der Apostelgeschichte werden die Judenchristen, die den Speisegesetzen der Tora treu bleiben wollen, daran gehindert, ihnen treu zu bleiben. Der Weg der Tora bleibt anerkannt. Aber – und das ist das Entscheidende - es gibt auch einen anderen Weg. Den anzuerkennen bedeutet nicht, den alten Weg abzuwerten.
Doch nicht nur Petrus macht einen Prozess durch, sondern auch Cornelius. Er lebt „mit seinem ganzen Haus fromm und gottesfürchtig“, (V 2), das heißt, dass er als Nichtjude in der Nähe des Tempels und in der Hinwendung zum Gott Israels lebt. Seine Sehnsucht nach Nähe zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist ein inneres Faktum. Er lebt mit dieser Sehnsucht vermutlich schon lange Jahre, denn es klingt wie die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches, wenn der Engel nun zu ihm sagt: „Deine Gebete und Almosen sind zu Gott gelangt, und er hat sich an dich erinnert.“
Er bekommt in der Vision den Hinweis, Petrus aus Joppe zu sich nach Cäsarea einzuladen. Diese Einladung auszusprechen ist kein leichter Schritt für ihn. Das zeigt sich schon an der Art des Empfangs: „Als Petrus ankam, ging ihm Cornelius entgegen und warf sich ehrfürchtig vor ihm nieder.“ Zwar heißt ihn Petrus mit der wunderbaren Formel „Auch ich bin nur ein Mensch“ aufzustehen, aber der Abstand zwischen beiden ist dennoch immens. Dass Cornelius es gewagt hat, trotz dieser Asymmetrie Petrus einzuladen, ist ein großer Schritt. Der Außenseiter lädt den Insider ein.
Doch mit der Einladung riskiert Cornelius noch mehr. Er weiß, dass er Petrus in eine schwierige Situation bringt, denn als Jude darf Petrus das Haus des Cornelius gar nicht betreten: „Da sagte [Petrus] zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem Juden nicht erlaubt ist, mit einem Nichtjuden zu verkehren oder sein Haus zu betreten.“ Es gibt Situationen, in denen es riskant ist, eine Bitte zu äußern oder eine Einladung auszusprechen, weil man damit den Angesprochenen in einen schwierige Entscheidungssituation bringt.
Zwei kleine Beispiele: In einem Freundeskreis, der Eucharistie feiern will, bittet der evangelische Christ unter den Freunden den Priester, ob er ihm auch die Kommunion reichen kann. Der Priester antwortet: „Da bringst du mich in eine schwierige Situation.“ Eine Freundin fragt einen katholischen Priester, ob er ihr bei ihrer Ordination als evangelische Pfarrerin auch die Hände auflegen kann: „Da bringst du mich in eine schwierige Situation.“
Viele unterlassen solche und ähnliche Bitten, um dem anderen die schwierige Entscheidungssituation zu ersparen, den Konflikt mit seinem Selbstverständnis und mit seinem Herkunftsmilieu. Doch Cornelius unterlässt die Einladung an Petrus nicht. Er lädt ein, weil er vom Geist dazu ermuntert, ja beauftragt wird. Er tut es also nicht aus eigenem Willen, nicht aus Ungeduld, nicht um Druck auszuüben.
Wie sieht der Entscheidungsprozess bei ihm selbst aus, bis es zu dieser Einladung kommt? Letztlich geht es um ein Bekenntnis zur eigenen Erfahrung, also um ein Bekenntnis zu sich selbst: „Ich lade Petrus ein – nicht um Druck auszuüben, nicht aus Eigenwillen, nicht aus Ungeduld. Aus der Tatsache, dass meine Einladung als Zumutung erlebt wird bzw. in gewisser Weise eine Zumutung ist, folgt nicht notwendig, dass ich sie unterlassen soll. Denn ich tue es ja nicht wegen der Zumutung oder um die gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen in Frage zu stellen, in denen eine solche Einladung als Zumutung erlebt wird, sondern ich tue es aus einer inneren Bewegung heraus, die da ist und der ich folgen muss, weil sie eben da ist und sich nicht verleugnen lässt.“
Es kann sein, dass man einem Menschen einen Wunsch oder eine Bitte nicht ersparen kann und darf, auch dann nicht, wenn diese den Angesprochenen in eine schwierige Situation bringt und er sie als Zumutung oder Druck erleben könnte.
Wenn Cornelius „ja“ gesagt hat zum Aussprechen der Einladung, dann muss er dazu stehen, auch dann, wenn der Eingeladene ihn anfährt in der Art: „Was fällt Dir ein!? Du mich - in deinem Haus? Kommt gar nicht in Frage!“ – so wie Petrus dazu stehen muss, dass er „ja“ zu der Einladung gesagt hat und nun am Tisch des Cornelius sitzt. Für beide gibt es kein zurück, selbst wenn jeweils von hinten noch manche Geister an ihnen zerren.
Es ist also ein Prozess auf beiden Seiten – bei Petrus und bei Cornelius. Geprägt ist dieser Prozess von Absichtslosigkeit: Keiner der beiden verfolgt einfach eine Strategie. Jeder der beiden folgt einem inneren Impuls. Am Ende werden die beiden zusammengefügt.
Was Petrus und Cornelius betrifft, so liegt das Ereignis bald 2000 Jahre zurück. Aber die Struktur bleibt dieselbe, wenn der Geist heute daran arbeitet, dass Barrieren zwischen Menschen, zwischen Christen, zwischen Kulturen abgebaut werden, um eine neue und größere Einheit in Gott zu schaffen, als bisher möglich war.
I. In Apg 10,20 steht der wichtige Satz: „Steh auf, geh hinunter und zieh ohne Bedenken mit ihnen; denn ich habe sie geschickt!“
a) Diesen Satz können wir als eine persönliche Aufforderung an jeden und jede von uns hören und uns fragen: Wen schickt Gott mir? (-Schickt er mir überhaupt jemanden?) – Dazu möchte ich einige persönliche Erfahrungen erzählen:
Vor gut 20 Jahren haben meine Frau und ich den Fall der Berliner Mauer erlebt. Wir wohnten damals im Rheinland. Wir haben diese Ereignisse mit großer Erschütterung verfolgt. Was uns besonders bewegt hat, waren die Informationen und die Nachrichten, die wir bekamen über die Situation der Christen in den neuen Bundesländern. Davon hatten wir bis dahin fast nichts gehört. Diese Nachrichten haben uns so bewegt, dass wir uns wenige Wochen nach dem Mauerfall auf den Weg gemacht haben, um Kontakte mit den Christen in den neuen Bundesländern aufzunehmen, die dort in einer großen Minderheit lebten und noch immer leben. Bei einer solchen Reise hatte ich eine Begegnung mit Bischof Reinelt, dem Bischof von Dresden. Der sagte mir: „Das ist ja wunderbar, dass Sie sich für Mission in den neuen Bundesländern interessieren. Aber wissen Sie, ich muss Ihnen einen wichtigen Hinweis geben: Das hat überhaupt keinen Zweck, wenn Sie hierher kommen und einmal ein paar Wochenenden oder Treffen organisieren. Mission kann eigentlich nur dann geschehen, wenn Sie bereit sind, das Leben und den Alltag mit den Menschen hier zu teilen.“ Dieser Satz hat mich tief betroffen gemacht und ich habe ihn in den Jahren darauf nicht mehr vergessen.
In der Zwischenzeit sind wir nach Paris gezogen, haben dort acht Jahre gelebt, und als sich dann die Frage stellte: Wie geht es weiter?, da haben wir an diesen Satz von Bischof Reinelt gedacht und gesagt: „Das ist für uns eine Wegweisung.“ So haben wir uns entschieden, nach Berlin zu ziehen. Seit 2001 leben wir dort. Unser Anliegen war, das Leben der Menschen zu teilen, als Voraussetzung dafür, ihnen glaubhaft Christus nahe zu bringen, durch das Wort und auch durch die Tat, durch die konkrete Nächstenliebe.
Berlin hat 3,4 Mio. Einwohner. In Berlin leben so viele Ausländer wie in keiner anderen deutschen Stadt: 14 Prozent der Bevölkerung. 9 Prozent der Einwohner Berlins sind Katholiken, etwas mehr als 20 Prozent sind Protestanten, ca. 7 Prozent Muslime. Weit mehr als die Hälfte der Einwohner Berlins ist ohne Bekenntnis. Doch was uns täglich neu beeindruckt: Die Frage nach Gott verstummt nicht, auch nicht in dieser säkularisierten Metropole: Wir begegnen der Frage nach Gott auf Schritt und Tritt in unserem Alltag: In Gestalt unseres muslimischen Postboten, bei meinem muslimischen Friseur, in der Nachbarschaft, bei Kindergeburtstagen, im Beruf: in der Begegnung mit Schülern und Kollegen. In dieser Situation erleben wir Mission täglich als Herausforderung: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ (vgl. 1 Petr. 3, 15). Täglich stellt sich uns die Frage neu nach der angemessenen Haltung des Missionars bzw. der Missionarin: Wesentlich gehört für mich zu Mission die Absichtslosigkeit, die wir bereits im Zusammenhang mit der Begegnung von Petrus und Cornelius beobachtet haben: Absichtslosigkeit bedeutet hier, dass ich dem Anderen als meinem Mitmenschen begegne, in tiefem Respekt vor seiner persönlichen Freiheit, in großer Achtung vor der Würde seiner Person. Absichtslosigkeit bedeutet, dass ich den Anderen nicht zum Objekt „meiner“ Mission mache, d. h. „ihn nicht evangelisieren“ will, im Sinne von einem Objekt, dem ich mich zuwende.
In diesem Zusammenhang verweisen uns die gerade die Nachrichten über Missbrauchsfälle auf das Wesen der Mission: Mission ist gerade nicht Übergrifflichkeit, sie ist gerade nicht Gewaltausübung gegenüber dem Anderen, dem Schwächeren, dem Schutzbefohlenen: Mission ist ihrem Wesen nach Freisetzung von Freiheit, sie ist Angebot und Einladung, die Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes anzunehmen und darauf in Freiheit zu antworten.
Absichtslosigkeit in der Mission ist jedoch mehr als nur eine Methode oder eine Strategie: Sie ist eine Grundhaltung, die ihren Ursprung in der bedingungslosen Liebe Gottes zu mir hat: Erst wenn ich diese absichtslose Liebe Gottes erfahren habe, kann ich sie auch Anderen gegenüber bezeugen. Der zentrale Ort, dieser absichtslosen Liebe Gottes zu mir ist in der persönlichen Begegnung mit Jesus Christus, ganz besonders in den Sakramenten der Kirche, insbesondere dem Sakrament der Vergebung und der Eucharistie. Im betrachtenden Verweilen vor dem Allerheiligsten lassen wir unser Herz und unseren Verstand von der absichtslosen Liebe Gottes verwandeln. Daher lebt jede Mission aus der Feier und dem Empfang der Sakramente.
Am Rande sei bemerkt, dass jede Eucharistie mit der Aussendung der Gläubigen durch den Zelebranten endet: „Gehet hin in Frieden!“ – im lateinischen Text fast noch klarer: „Ite, missa est“ – „Geht, die Versammlung ist gesendet!“
b) Doch nicht nur an den einzelnen Christen, sondern auch an die Kirche als Ganzes richtet sich die Aufforderung in Apg 10,20 „Steh auf, geh hinunter!“
Dies betrifft insbesondere die Gemeinden als Zentren christlichen Lebens. Unsere Heimatpfarrei in Berlin ist St. Ludwig, eine der beiden größten Pfarren Berlins. Seit Mitte der achtziger Jahre wird sie von einer Gemeinschaft von Franziskanern geleitet und betreut. Bezeichnend ist, dass von den über 100 Kommunionkindern jährlich zirka zwei Drittel nicht auf dem Gebiet der Pfarre wohnen.
Dies ist ein Indiz für die starke Tendenz, dass sich die Gemeinden von territorialen Einheiten zu Zentren mit überregionaler Ausstrahlung entwickeln, zu denen die Gläubigen oft von weit her kommen. Für sie ist Gemeinde ein lebendiger Ort, an dem feierliche Liturgie begangen wird, und an dem Begegnung möglich ist.
Auf der anderen Seite stellt diese Entwicklung jedoch viele andere Pfarren, die vielleicht über weniger personelle Möglichkeiten verfügen und auch in soziologisch schwierigeren Gegenden liegen, etwa den Randgebieten Ostberlins, vor wachsende Probleme. Dort erstrecken sich sogenannte Plattenbau-Siedlungen oft über viele Quadratkilometer. Für mehrere Hunderttausend Einwohner ist bisweilen nur ein Pfarrer mit einem Kaplan zuständig. Die dort tätigen Priester sehen sich mit schier unüberwindbaren pastoralen Herausforderungen konfrontiert und klagen häufig über Vereinsamung. Hier wäre ein diözesanes Konzept, wie Sie es auf Ihrer Diözesanversammlung erarbeiten, dringend notwendig.
c) Ein weiterer Aspekt der Aufforderung Apg 10,20 „Steh auf, geh hinunter!“ ist im Kontext der Diaspora ein bewusster Machtverzicht der Kirchen: Der Hinabstieg „vom hohen Ross“ der Selbstbehauptung und die Bereitschaft zu pastoraler und partnerschaftlicher Zusammenarbeit: In einer säkularen Gesellschaft wie der in Berlin erleben alle christlichen Konfessionen in besonderer Intensität, dass sie aufeinander angewiesen sind, und dass es ihnen nur gemeinsam gelingen wird, dem Evangelium in unserer Gesellschaft Gehör zu verschaffen. d) Der „kleine Weg“ der Thérèse von Lisieux Schließlich scheint mir bei aller Dringlichkeit, nach neuen Konzepten von Mission und neuen Strukturen kirchlichen Lebens zu suchen, eine Form des Hinabsteigens noch immer aktuell zu sein, auf die Thérèse von Lisieux oder Thérèse vom Kinde Jesu, wie sie sich selbst nannte, hingewiesen hat: Die französische Karmelitin starb am 30. Sept. 1897 im Alter von 24 Jahren. Papst Pius XI. proklamierte sie zur Patronin der Weltmission. Papst Johannes Paul II proklamierte Thérèse zur Kirchenlehrerin.
Eine kleine Anekdote aus ihrem Leben: „Wenn ich bedenke, was ich noch alles erringen muss!“ seufzt eine Novizin. - „Sagen Sie doch lieber: verlieren!“ erwidert Thérèse. „Jesus selbst übernimmt es, Ihre Seele zu füllen in dem Maße, als Sie die Unvollkommenheiten ausräumen. Ich sehe wohl, sie irren sich über den Weg – so werden Sie nie ans Ziel Ihrer Reise gelangen. Sie wollen einen Berg erklettern, und Gott will, dass Sie herabsteigen. Er erwartet Sie in den Tiefen des fruchtbaren Tales der Demut.“[1]
Das Herabsteigen, von dem Thérèse hier spricht, ist das, was sie den „kleinen Weg“ nennt. Thérèse hat mehrmals eine kurze Synthese ihres kleinen Weges versucht, aphoristisch, denn es geschah meist als unvorbereitete Antwort auf plötzliche Fragen, z. B.: „Klein bleiben heißt: sein Nichtsein anerkennen, alles vom lieben Gott erwarten, sich nicht zu sehr über seine Fehler betrüben. Schließlich: sich keine besonderen Verdienste aufspeichern wollen ... Ich bin immer klein geblieben und kenne keine andere Beschäftigung als jene, die Blumen der Liebe und des Opfers zu pflücken und sie dem lieben Gott zu seinem Vergnügen anzubieten. Klein bleiben heißt ferner: die Tugenden, die man übt, nicht sich selber zuschreiben. Als wäre man irgendeines Guten fähig, sondern erkennen, dass sie ein Schatz sind, den der liebe Gott in die Hand seines kleinen Kindes legt, um sich seiner zu bedienen, wann er dessen bedarf.“ Durch diese geistliche Kindschaft macht man die Erfahrung, dass alles von Gott kommt, zu Ihm zurückkehrt und in Ihm bleibt, zum Heil aller Menschen, im Geheimnis der barmherzigen Liebe. Der „kleine Weg“ der Thérèse de Lisieux ist der Weg der Heiligkeit. Zu ihr sind wir alle berufen. Dass dieser Weg der Heiligkeit wirklich gangbar ist, hat Thérèse uns vorgelebt und gelehrt.
Ich möchte schließen mit einem bekannten Text aus ihrem autobiographischen Manuskript B.: „Ich begriff, dass wenn die Kirche einen aus verschiedenen Gliedern bestehenden Leib hat, ihr auch das notwendigste, das edelste von allen nicht fehlt; ich begriff, dass die Kirche ein Herz hat, und dass dieses Herz von Liebe brennt. Ich erkannte, dass die Liebe allein die Glieder der Kirche in Tätigkeit setzt, und würde die Liebe erlöschen, so würden die Apostel das Evangelium nicht mehr verkünden, die Märtyrer sich weigern, ihr Blut zu vergießen ... ich begriff, dass die Liebe alle Berufungen in sich schließt, dass die Liebe alles ist, dass sie alle Zeiten und Orte umspannt ... mit einem Wort, dass sie ewig ist! ... Da rief ich im Übermaß meiner überschäumenden Freude: O Jesus, meine Liebe ... endlich habe ich meine Berufung gefunden. Meine Berufung ist die Liebe ... Ja, ich habe meinen Platz in der Kirche gefunden, und diesen Platz, mein Gott, den hast du mir geschenkt ... im Herzen der Kirche, meiner Mutter, werde ich die Liebe sein ... so werde ich alles sein ... so wird mein Traum Wirklichkeit werden!“[2]
Mission, gleich in welcher Gestalt, - ob als Diözesan- oder Pfarrmission oder als gottgeschenkte Begegnung zweier Menschen - lebt von dieser Liebe im Herzen der Kirche und im Herzen eines jeden und einer jeden von uns.
(red)
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