Vom Wendepunkt der Hoffnung
© Kahtbild.at/RupprechtZu Beginn der 2. Diözeanversammlung spricht Christoph Kardinal Schönborn über die momentan schwierige Situation der Kirche, aber gerade auch über die Hoffnung und den Weg den wir Christen gemeinsam gehen.

Liebe Delegierte, liebe Schwestern und Brüder!

In diesen Tagen geht es wohl vielen von uns wie den beiden Emmausjüngern, die traurig und niedergeschlagen auf dem Weg waren, als sich ihnen Jesus zugesellte, sie ihn aber nicht erkannten. Als er sie nach dem Grund ihrer Traurigkeit fragten, heißt es: „Da blieben sie traurig stehen“ (Lk 24,18). Ja, traurig, sehr traurig bleiben wir stehen und fragen uns: Was ist da geschehen? Warum dieser Tsunami an Enthüllungen, an Missbrauchsfällen? Warum schon wieder einmal „die Kirche“ am Pranger?

In den letzen Tagen wogt in mir ein heftiger Kampf, und ich kann mir denken, dass es vielen von Ihnen auch so gegangen ist. Da ist die starke Versuchung zu resignieren, zur Depression, zum Selbstmitleid: warum sind wir, „die Kirche“, schon wieder einmal „dran“? Da ist die Versuchung, alles auf die „bösen Medien“ zu schieben, die wieder einmal die Fehler der Kirche ganz besonders beleuchten.

Aber dann spüre ich im Herzen: das ist es nicht! Diese Trauer ist nicht die richtige Trauer. Dann erinnere ich mich an die so klaren Worte, die wir als Bischöfe in der vergangenen Woche gesagt haben: es geht nicht um unseren Schmerz. Ja, es tut uns weh, wie wir wieder einmal dastehen. Aber was ist dieser Schmerz im Vergleich zu Schmerz der Opfer? Und dann denke ich an Missbrauchsopfer, die ich persönlich kenne, deren Leben bis heute noch nach Jahrzehnten schwer belastet ist, denen der Missbrauch dauerhaft Lebenssubstanz geraubt hat. Und dann spüre ich eine echte Trauer: „Was ist euch angetan worden!“ Diese Trauer mussl uns bewegen. Nicht die Frage: wie geht es schon wieder einmal uns, der Kirche, schlecht! Sondern das schmerzliche Gedenken an die Leiden der Opfer. Diese echte Trauer wird allein die Kirche läutern und reinigen. Dann ist das, was wir zurzeit erleben, nicht vergeblich. Dann kann es zu einer echten Umkehr in der Kirche, in unserem Leben führen. Ist Jesus nicht zuerst für die Opfer gekommen? Für die Kleinen, die Wehrlosen? Und hat er die Täter nicht dadurch zur Umkehr bewogen, dass er selbst freiwillig zum Opfer unserer Sünde geworden ist? Zum Lamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt?

„Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32): Wir Bischöfe haben an dieses Wort Jesu erinnert. Es gilt auch in dieser schwierigen Stunde. Sie mag schmerzen, aber sie befreit. Und deshalb bitte ich euch: Fürchtet euch  nicht vor der Wahrheit. Sie befreit. Sie sieht vor allem das Leid der Opfer. Dazu lädt uns Jesus ein. Die Kirche wird an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn wir durch diesen Prozess der Läuterung gehen. Und sie wird deutlicher sichtbar machen, wo von Jesus her ihr Platz ist: dort, wo der Mensch, das Ebenbild Gottes, verletzt, geschändet, missbraucht wird. So bitte ich euch – und sage es auch mir selber: nehmen wir diese Phase der Läuterung an. Sie kann uns nur näher zu Jesus und näher zu den Menschen bringen – auch wenn wir jetzt von vielen beschimpft und verachtet werden.

Ja, die Wahrheit wird uns frei machen. Nach der 1. Delegiertenversammlung schrieben mir zwei Pfarrgemeinderäte: „Das Schlimmste, was diesem Prozess geschehen kann, ist, wenn alles wieder in der Schublade verschwindet“. Ich bin mir bewusst, dass die Erwartungen sehr hoch sind. Wie wird es weitergehen? Wird es bei schönen Worten und einem schönen Event bleiben? Ich erinnere mich sehr gut an die Punkte, bei denen in der 1. Versammlung am stärksten applaudiert wurde. Werden sie wieder nur „auf die lange Bank geschoben“? Worum wird es diesmal gehen? Um Mission. Wird dieses Hauptthema alles andere zudecken? Vor allem die Sorgen um die Zukunft der Gemeinden, die so stark zum Ausdruck kamen?

Regina Polak hat die vielen Ergebnisse der Gesprächsgruppen analysiert, systematisiert und wirklich sehr kompetent ausgewertet. Sie beschreibt ihren Gesamteindruck der Ergebnisse der Gesprächsgruppen : „Groß ist die Trauer, dass es nicht mehr so ist, wie es einmal war. Wo ist Raum für diese Trauer? Wo denken wir nach, was wir aus der Vergangenheit in die Zukunft mitnehmen müssen – und was wir lassen können?“

Eines ist sicher: wir müssen von manchem Abschied nehmen. Es verändert sich rasant unsere Gesellschaft und mit ihr die Kirche. Die heute unter 20-Jährigen werden, wenn sie unser Durchschnittsalter erreicht haben werden, in einer sehr anderen Welt und Kirche leben. Wie wird diese neue Gestalt einer Gesellschaft aussehen, die nicht mehr nur auf Wachstum basiert? Wie wird Gestalt einer Kirche aussehen, die wohl deutlich kleiner, multikultureller geworden ist?

Werden wir diesen Übergang einfach erleiden oder auch mitgestalten? Das ist die Herausforderung. Werden wir uns öffnen, über die Grenzen unserer Gemeinden hinaus? Manche orten einen „Reformstau“ in der Kirche. Ich orte mit Sorge, dass wir uns zu sehr mit uns selber beschäftigen, dass das unsere Energien zu sehr an die „binnenkirchlichen Themen“ bindet. Regina Polak stellt fest, dass unsere Gemeinden und Gemeinschaften „ein Riesenpotenzial“ an Kreativität haben. Ich kann das nur dankbar bestätigen. Es entspricht meiner Wahrnehmung und das ist auch meine große Hoffnung. Aber sie schreibt auch über die Arbeitsgruppen der 1. Versammlung: „Warum werden die Entwicklungen in Europa, in der Welt, in Gesellschaft kaum explizit benannt? Wo sind die ‚Anderen‘ außerhalb der Kirche (Andersgläubige, Migrant/innen, Notleidende, Lehrlinge, Arbeiterinnen, Unternehmer, Politiker,…)? Sie werden selten konkret beim Namen genannt“.

Sie erinnern sich an meine fünf „Ja“ vom ersten Tag der ersten Diözesanversammlung: das erste Ja war das zum Heute, zur Zeit, den Menschen von heute. Dieses Heute und mehr noch das Morgen unserer Welt, unserer Gesellschaft sieht ernst aus. 400 000 Arbeitslose in Österreich. Belastende Budgetaussichten, kommende Sparpakete, die Sorgen um die Zukunft des Sozialstaates, um das Brüchigwerden des Generationenvertrages. Dazu kommen die globalen Sorgen in einer globalisierten Welt: die wachsende Armut bei gleichzeitigem wachsenden Reichtum weniger; die Sorgen um den Klimawandel, die Brüchigkeit des Finanzsystems, die steigende Fremdenfeindlichkeit angesichts der Migrationsbewegungen; und, besonders schwerwiegend, die Verschiebungen in den Wertesystemen: die weltweite Förderung von Abtreibung und Euthanasie, alles Grund zu großer Sorge.

Doch es gibt auch so viele Hoffnungszeichen, von denen wir als Christen lernen können, die wir wahrnehmen und wertschätzen sollen. Mich hat sehr beeindruckt, wie der Hl. Vater Papst Benedikt, über seine Reise nach Tschechien gesprochen hat. Er sei immer wieder darauf hingewiesen worden, das sei doch ein Land, in dem die Mehrheit Agnostiker und Atheisten seien und die Christen nur eine Minderheit. Er sei umso überraschter gewesen, mit welcher Herzlichkeit und Freundschaft er aufgenommen worden sei. Ihm sei es vor allem wichtig, „dass auch die Menschen, die sich als Agnostiker oder als Atheisten ansehen, uns als Gläubige angehen. Wenn wir von einer neuen Evangelisierung sprechen, erschrecken diese Menschen vielleicht. Sie wollen sich nicht als Objekt von Mission sehen und ihre Freiheit des Denkens und des Wollens nicht preisgeben. Aber die Frage nach Gott bleibt doch auch für sie gegenwärtig, auch wenn sie an die konkrete Weise seiner Zuwendung zu uns nicht glauben können … Als ersten Schritt von Evangelisierung müssen wir versuchen, die Gottsuche wachzuhalten“.

Und Papst Benedikt gebraucht dafür das Bild des „Vorhofs der Völker“ im Tempel zu Jerusalem. „Ich denke, so einen ‚Vorhof der Völker‘ müsse die Kirche auch heute auftun, wo Menschen sich irgendwie an Gott anhängen können, ohne ihn zu kennen und ehe sie den Zugang zum Geheimnis gefunden haben, dem das innere Leben der Kirche dient“ (Ansprache an die Kurie, 21.12.2009).

Die Emmaus-Jünger bleiben nicht stehen. Sie gingen weiter. Auf dem Weg zeigte ihnen Jesus aus der Schrift, dass der Messias das alles leiden musste, „um so in seine Herrlichkeit zu gelangen“ (Lk 24,26). Auch wir wollen nicht traurig stehenbleiben. Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass unser Herz brannte, als er mit uns auf dem Weg war und uns die Schrift erschloss. Die erste  Delegiertenversammlung hat vielen von uns das brennende Herz erfahrbar gemacht. Wir wissen alle, dass es keine fertigen Rezepte, keine schnellen, simplen Lösungen gibt. Aber eines weiß ich sicher: Christus liebt diese Seine Kirche. Er will sie, er braucht sie. Ihr hat er „das Reich vermacht, wie es mein Vater mir vermacht hat“ (Lk 22,29). Diese Kirche, die so oft angepatzt dasteht, die vor „der Welt“ nicht gerade brilliert, ihr hat er die Hoffnung anvertraut. Ich kann euch, liebe Schwestern und Brüder, keine „billigen Hoffnungen“ machen. Aber von dieser uns anvertrauten Hoffnung dürfen wir  nicht schweigen. Sie ist ja nicht für uns alleine. Sie ist für alle da. Wir dürfen sie nicht für uns alleine behalten, sonst verlieren wir sie. wie wir Zeugen der uns geschenkten und anvertrauten Hoffnung sein können, das ist Thema dieser Tage. Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben. „Die Hoffnung wird nicht enttäuscht“ sagt Paulus. Ich vertraue fest darauf, dass das auch für uns stimmt.

(red)


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