Predigt bei der Diözesanversammlung
© Stephanscom.atWortlaut der Predigt von Kardinal Schönborn beim Gottesdienst bei der ersten Diözseanversammlung am Freitag, 23. Oktober 2009 im Stephansdom.

Lesung: Röm 7,18-25a, Evangelium: Lk 12,54-59

Gelobt sei Jesus Christus!

Liebe Delegierte, liebe Schwestern und Brüder, liebe Gäste!

Fangen wir gleich mit dem Unangenehmen an - es ist die Lesung und das Evangelium des heutigen Freitags. Jesus bezeichnet die Leute, die Menge, als “Heuchler“. Wen meint er damit?  Die anderen oder uns? Die „Leute“ oder auch uns? Er nennt sie Heuchler! Vielleicht nennt er uns Heuchler? Uns bezeichnet man gerne – ich spreche jetzt von den Kerngemeinden - uns bezeichnet man gerne als Heuchler: „Kerzerlschlucker“, Wasser predigen und Wein saufen! Bigottisch, kurz um: katholisch.

Ja, wir gelten vielen als Heuchler. Weil wir in die Kirche gehen und auch nicht besser sind als die anderen! Bezeichnet Jesus uns als Heuchler? Kriegen wir es jetzt auch noch von Jesus ab, nachdem wir es schon in der Gesellschaft dauernd abbekommen? Könnte nicht der Herr mit uns ein bisschen barmherziger sein? Worum geht es? Genau um das, was wir in diesen Tagen versuchen, in unserer Delegiertenversammlung: die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Ich muss leider Euch, Sie alle enttäuschen: Im Griechischen steht überhaupt nicht „die Zeichen der Zeit“, sondern einfach „ Kairos“, „diese Zeit“. „Erkennt den Kairos“, diesen Moment, das Heute! Den Kairos erfassen, darum geht es. Darum bemühen wir uns in diesen Tagen.

Die Wettervorhersagen waren offensichtlich damals genauer als heute, wo man keine Satelliten hatte, Denn Jesus sagte: „Ihr sagt, Nordwind: es regnet; ihr sagt Südwind: es wird heiß.“ Heinz Weinrad, der Wetterfrosch in unserer Versammlung, er ist immerhin bei der Flugwetterbehörde tätig, hat gesagt, es werde heute regnen - es scheint die Sonne: deo gratias!

Was tun, um diese Zeit besser zu erfassen, und vor allem sie zu deuten? Die Worte der Heiligen Schrift geben uns heute zwei wichtige Hinweise, wie wir besser lernen, zu erfassen, was die Zeit bedeutet. Paulus sagt uns in diesem dramatischen siebten Kapitel des Römerbriefes: „Erfasse zuerst dich selber, deinen Zustand.“ Und Jesus sagt uns: „Ergreife zuerst die Chance der Versöhnung, den rechten Moment, vielleicht den letzten Moment zur Versöhnung.

Erfasse zuerst einmal deinen eigenen Zustand!

-          Ich will das Gute: ich nehme es mir vor.  Und ich nehme an, dass ihr mir abnehmt, dass ich das Gute will. Wir bemühen uns darum, es auch von den anderen anzunehmen. Auch du willst das Gute.

 

-          Ich tue das Böse, das ich nicht will. ICH! Paulus spricht von sich, ich tue das Böse. Er spricht nicht von den anderen, sondern von sich selber. Wie schaut es bei mir aus? Ich nehme mir vor, ein gutes Wort zu sagen, aber über meine Lippen kommt ein bitteres Wort. Ich bin unglücklich – und jemand anderer wird unglücklich. Ich nehme mir vor, ich will mir Zeit für jemand anderen, den Partner, Mitarbeiter/in, Kinder nehmen - und ich vertue die Zeit mit Fernsehen oder  dem Computer oder vielleicht mit Facebook - pardon, wenn ich das erwähne.

Diese Litanei kann jede und jeder von uns ergänzen und verlängern, wenn wir ehrlich sind. Ich unglücklicher Mensch – wer wird mich aus dieser Zerrissenheit retten? Das sagt Paulus.

Erste Bedingung, um frei zu werden, um die Zeichen der Zeit zu erfassen, ist Selbsterkenntnis! Wie sehr ich selber der Hilfe und des Erbarmens bedürftig bin, wie viel mich gefangen hält, wie sehr „das Gesetz der Sünde in meinen Glieder herrscht“,  obwohl ich mich, „dem inneren Menschen nach“, sagt Paulus, nach etwas ganz anderem sehne.

Paulus, der große, heilige Apostel, spricht so ehrlich über sich selber. Also Brüder und Schwestern: keine Schande, dass wir ehrlich, über uns selber sprechen, ehrlich mit uns selber sind.

Und die zweite Bedingung, die Jesus uns nennt: Erfasse den Kairos, den Moment, wenn Du auf dem Weg bist - und wir sind alle auf dem Weg. Solange wir leben, sind wir auf dem Weg und noch nicht beim „Kadi“, beim Richter. Nütze die Zeit! „Die Sonne soll über deinem Zorn nicht untergehen“, sagt der Apostel. Den Kairos der Versöhnung erfassen.

Beides lässt uns vielleicht etwas mutlos zurück. Wie wenig habe ich mich selber erkannt, wie oft habe ich den Moment der Versöhnung versäumt. Und dennoch, sagt Paulus „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“ Ja, Herr, auch wenn du mich Heuchler nennst, nichts war und ist Dir mehr zuwider als die Heuchelei. Es gibt nichts im Evangelium. worüber Jesus so  zornig ist, wie über die Heuchelei.

Wenn wir wirklich ehrlich sind, werden wir nicht zögern, uns auf dem Weg zu versöhnen und auf die anderen nicht hinunterschauen. Dann werden wir die anderen höher achten als uns selber, wie Paulus es uns rät -- und dann kann Mission gelingen. Niemals von oben herab, immer Face to Face, im ehrlichen Gegenüber. In großer Achtung vor dem Anderen, im Wissen, wie sehr ich selber ein von Jesus geheilter, geliebter, geretteter, armer Sünder bin.

Brüder und Schwestern, heute sind wir eingeladen, zu einem „Abend der Barmherzigkeit“, alle Delegierten, aber auch alle die kommen können. Wir lassen uns das schenken, was die Voraussetzung ist, dass wir Mission leben können: dass wir selber die Barmherzigkeit Jesu erfahren haben um sie weitergeben zu können. Amen.

(red)


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