Brennt uns nicht das Herz
© Stephanscom.atDie Pastoraltheologin Regina Polak und der evangelische Theologe Eckhard Krause referierten in einem Dialogvortrag über den Sendungsauftrag der Kirche und ihre Erfahrungen.

Regina Polak:

Was brauchen wir, um unserem Dienst zu entsprechen? Ich habe mir überlegt, zum Einstieg eine kleine Phänomenologie zum brennenden Herzen zu formulieren, weil ich denke: das Erste, was wir brauchen, ist ein brennendes Herz. Nun können Herzen aus verschiedenen Gründen brennen. Der schönste Grund ist ein Herz, das aus Liebe brennt. Aus Liebe zu Gott und aus Liebe zu Menschen, zu Männern, zu Frauen, zu Kindern, weil man in ihnen das Antlitz Gottes erkennt. Ein Herz, das brennt und dessen Ausdruck nach Verbreitung nach außen drängt.

Herzen können auch brennen, weil sie Mangel leiden. Wenn man wahrnimmt, wie wenig diese göttliche Liebe manchmal präsent ist, und ihre andere Seite, die Gerechtigkeit, Mangelware zu sein scheint. Wie Menschen sich manchmal selbst im Weg stehen. Herzen können brennen vor Sehnsucht aufgrund dieses Mangels, weil sie leiden am Leid der anderen Menschen, weil sie leiden an Lieblosigkeit und an Ungerechtigkeit.

Herzen können auch brennen angesichts der eigenen Schuld. Der persönlichen Schuld, aber auch der Schuld kirchlichen Handelns. Die Scham kann einen siedend heiß werden lassen. Dann gibt es das brennende Herz, das durchformt wird. Das brennende Herz, das durchformt wird von der Liebe Gottes, und dieses brennende Herz ist ein Heilsschmerz. Es brennt, weil das Herz schmilzt. Das griechische Wort heißt ja auch wörtlich: es dreht einem die Eingeweide zusammen. Das geht einem an Herz und Nieren, und schließlich darf nicht vergessen werden, dass das Herz auch eine gefährliche Sache ist, denn mitunter wird Leidenschaft so heftig, dass dann Bücher und manchmal auch schon Menschen gebrannt haben. Also Leidenschaft und ein brennendes Herz ist eine gefährliche Sache.

Herr Krause, wie kann denn ein Herz Gottes – menschenfreundlich brennen?

Eckard Krause:

Zuerst einmal haben Sie alle mein Herz zum Brennen gebracht. Ich wusste nicht genau, auf was ich mich einlasse. Ökumenisches Feigenblatt wäre eine Rolle gewesen. Aber Sie haben mein Herz erwärmt. Für uns Protestanten ist die katholische Kirche immer stark, mächtig und selbstbewusst. Und ich habe Sie in einer großen Hilflosigkeit erlebt, die Sie sich eingestanden haben. Ich habe Sie erlebt mit vielen Fragen, das hat mich sehr berührt. Also ich habe gerade ein Stück brennendes Herz erlebt. Ich kenne viele Kongresse und Tagungen, denn selten zuvor in der jüngeren Kirchengeschichte spielte das Thema „Mission“ eine so deutliche Rolle wie im Augenblick. Woran das liegt? Das mag viele Gründe haben. Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass der Kirche das Geld ausgegangen ist. Aber vielleicht regiert der Hl. Geist ja nicht nur mit dem Symbol einer Taube eine Kirche, sondern auch mit dem Pleitegeier. Ich finde es auf jeden Fall erfreulich, dass sich Kirchensynoden und diözesane Versammlungen mit dem Thema befasst haben.

Dass es viele Papiere, viele Tagungen, Kongresse, Bücher gibt, ist eine Seite – und trotzdem macht es mir Sorge, ob es wirklich das ist, was Herzen zum Brennen bringt. Oft genug erlebe ich so Gemeindeaufbauveranstaltungen als Veranstaltungen, die den einfachen Gemeindemitgliedern und einfachen Pastoren beibringen wollen, wie es denn jetzt geht. Und ich erlebe Menschen, die von solchen Veranstaltungen kommen mit brennendem Herzen und nach wenigen Monaten mit tiefem Frust dastehen, weil sie merken, dass all die großen Ideen in ihrer kleinen Pfarrei nicht greifen. Dass diese Tagung anders angelegt ist, das berührt mein Herz. Denn es kann weder eine Kirchenleitung ihren Pastoren, noch ein Pastor oder Pfarrer seiner Gemeinde Missionarisch-Sein verordnen. Missionarisch-Sein ist ein Ausdruck von Glaubens- und Lebenshaltung. Eine ganz bestimmte Frömmigkeit ist Voraussetzung für missionarisches sein. Und ich denke, bevor man über große Programme nachdenkt, sollten wir uns vom Hl. Geist eine neue Sichtweise schenken lassen: Gott noch einmal neu zu sehen. Zum anderen, sich selbst noch einmal neu zu begreifen, sich als Christ noch einmal neu zu verstehen. Und unsere Mitmenschen noch einmal anders zu sehen, als wir sie vielleicht sonst zu sehen gewohnt sind, und um unsere Kirche noch einmal neu zu begreifen. Also ein brennendes Herz, ja, das brauchen wir dringend, aber bitte nicht durch Strukturen und Programme.

Wir müssten fragen: Was hindert eigentlich, dass Herzen von Menschen, die mit Gott leben, so wenig entflammbar sind?

Regina Polak:

Mir sind vier Gründe dazu eingefallen. Es hindert vielleicht auch das, was wir heute in der Predigt gehört haben, die Wahrnehmung oder, wie Sie es nennen, die Sicht des Kairos, der konkreten Situation. Wie schaut die heute aus? Vor unseren Augen geht eine bestimmte Epoche der Kirchengestalt zu Ende, einer Volkskirche, in der von der Wiege bis zur Bahre die Kirche das Leben der Menschen gestaltet hat. Das wird als sehr schmerzhaft wahrgenommen, und das ist auch legitim. Was wir brauchen sind Abschiedsprozesse, Überlegungen: Was wollen wir mitnehmen in die Zukunft, was dürfen wir nicht verlieren aus den Jahren des Konzils und was können oder müssen wir getrost hinter uns lassen? Gemeinsames Abschied-Nehmen, gemeinsames Trauern. Dann wird es möglich, dass Hoffnung wächst und Neues wachsen kann.

Ich glaube, dass auch die Wahrnehmung der Weltsituation uns hindert, und die ist nicht lustig. Da hört man, dass die Polkappen in 20 bis 30 Jahren abgeschmolzen sein werden, und vor meinen Augen entstehen Bilder von Migranten- und Migrantinnenströmen, vom Kampf um Ressourcen, vom Kampf um Geld und Macht. Was tun wir denn jetzt schon, um unsere Perspektive zu weiten und uns auf diese Zeit vorzubereiten? Zu unserer Situation hier vor Ort in Wien gehört auch die Fremdenphobie, auch die gilt es wahrzunehmen. Ich möchte Sie ermutigen, ich glaube, dass es wichtig ist, wahrzunehmen, was hier und jetzt als drängende und bedrohliche Fragen vor unseren Augen ist.

Da ist nicht nur das Bedrohliche, sondern auch die Schönheit der Situation. Auch das gilt es wahrzunehmen. Wir haben heute gehört, vom halb vollen und halb leeren Glas. Wahrzunehmen, wie viel in Gemeinden, in Orden, in Bewegungen schon passiert. Aber auch wahrzunehmen, was außerhalb der Kirchen passiert, so genannte Fremdprophetien. Junge Menschen, die jetzt schon nach Lebensalternativen suchen -ressourcenorientiert könnte man modern sagen. Auf die Wirklichkeit zu schauen und auch, was ich glaube, ist eine ökumenische Wahrnehmung, damit meine ich jetzt nicht nur die konfessionelle Fragestellung, sondern die Wahrnehmung der großen Ökumene, der einen gemeinsamen Welt, die wir alle gemeinsam bewirtschaften und beleben.

Was wir brauchen und was uns vielleicht hindert, ist ein Mangel an Traditionsvergessenheit. Wir brauchen Erinnerung. Wir brauchen Erinnerung daran, dass das Evangelium sich uns Christen und Christinnen neu erschließen kann in seinen tiefen Dimensionen. Wir brauchen Bildung. Ich glaube, das geht sogar noch weiter als Wissen. Denn Wissen ohne Erfahrungssättigung bleibt Information, und das trägt nicht durchs Leben. Wir brauchen Bildung des Herzens, des Verstandes und dann auch des Handelns. Und wir brauchen auch die Erinnerung an die unsichtbaren Menschen, an die Opfer unsere Geschichte. An die Juden und die Jüdinnen, an die Opfer der Gegenreformation und auch an die Opfer in so manch kleiner Gemeinde, wo unsichtbares Leid durch uns Christen entstanden ist. Das ist nicht immer angenehm, aber ich glaube auch, dass uns Schuld lähmt und diese Schuld uns am missionarischen Aufbruch hindert.

Von den Strukturen, da war schon die Rede. Ich glaube, dass es auch wichtig ist, diese Hindernisse wahrzunehmen, aber dazu braucht es ein angstfreies und ein fehlerfreundliches Klima. Nachdenken dürfen, Verletzungen benennen dürfen und lernen, mit Differenz umzugehen und sie als eigentlichen Ort des Lernens wahrnehmen können, darum geht es. Auch das ist nicht immer angenehm, verursacht Schmerz, aber wenn sich alle Beteiligten dazu verpflichten, am Tisch gemeinsam sitzen zu bleiben und einander treu zu bleiben, auch im Konflikt, dann kann das unglaublich neue kreative Kräfte freisetzen. Und schließlich braucht das noch die Wahrnehmung des Horizonts, wie es um unsere Gesellschaft steht. Die Krise der Ökonomie. Eine Tendenz, dass Menschen immer mehr wirtschaftlichen Strukturen dienen. Die Zeitungen sind voll. Ich brauche Ihnen nicht davon zu erzählen, dass in Paris Menschen aus dem Fenster springen, weil der Arbeitsdruck so groß wird. Firmen sperren zu, Menschen werden arbeitslos. Es schlägt uns da auch ein harscher Gegenwind entgegen. Wir leben politisch in schwierigen Zeiten. Wir werden uns auf ein antikirchliches Klima einstellen müssen und was es heißt, als Minderheit zu leben. Es waren immer die Minderheiten, die Gesellschaft auch verändert haben. Ich habe jetzt über die Hindernisse gesprochen und das, was wir brauchen. Was glauben Sie denn, was möglich ist?

Eckard Krause:

Ich kann das nur unterstreichen. Kirche nimmt immer Anteil an der Gesellschaft. Wir würden sonst geschichtslos sein und die Botschaft an den Menschen vorbei predigen. Folglich müssen wir diese Dinge wahrnehmen. Und gleichzeitig wurde eben an Petrus erinnert, der über das Wasser ging, weil er auf das Wort und die Weisung Jesu gehört hat. Solange er auf ihn geschaut hat, bekam er das Wasser unter die Füße. Wasser steht ja auch für Probleme. Er ließ sich von all den Problemen, in denen er plötzlich stand, beeindrucken. Ich glaube nicht, dass es eine Verneinung des Zeitgeistes oder ein Weggucken ist, wenn ich Sie einlade, trotz oder gerade weil das alles so ist, noch einmal ganz neu auf Gott, den Vater, und auf Jesus Christus selbst zu schauen. Wir Christen bekennen, dass dieser Jesus von Anbeginn der Welt da war. Und dass die Heilsgeschichte nicht erst mit seinem Erscheinen beginnt, sondern dass bereits die Schöpfung mit einer sehnsuchtsvollen Liebe Gottes nach seiner Welt zu tun hatte.

Die Theologin Dorothee Sölle hat das einmal so formuliert: "Gott schuf die Welt nicht ex nihilo – nicht aus dem Nichts -, sondern ex amore – aus der Liebe. Bereits in der Schöpfung wird eine sehnsuchtsvolle, leidenschaftliche Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen deutlich. Und in Jesus Christus ist die sehnsuchtsvolle Liebe Gottes zu den Menschen Fleisch geworden. Im Anfang war das Wort, und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns. Wir sahen es, wir konnten es anfassen, wir konnten es spüren, wie Gottes Sehnsucht nach uns in der Person Jesus greift. Und Gott hat wirklich Probleme mit seinem Volk gehabt. Das zieht sich durch das ganze Alte Testament und durch die Kirchengeschichte. Bis auf diesen Tag. Was muss das für eine sehnsuchtsvolle Liebe sein, die ihn nicht einfach aufhören lässt, mit dieser Kirche zu handeln und mit dieser Welt zu handeln. Und was immer wir auch von Gott bekennen: ja, er ist Schöpfer, er ist Erhalter, er ist Richter – das alles ist richtig.

Aber: Wenn wir sagen, wir sind Christen, dann wollen wir doch Gott durch Jesus kennen lernen. Und da begegnet uns ein leidenschaftlich liebender Gott, der sich in Christus verzehrt um seine Menschen, ein Gott, der nicht im Himmel bleiben konnte, sondern herunterkommen musste, ein Gott, der nicht warten wollte, bis sich die Menschen zu ihm empor dienen. Ein Gott, der nicht warten konnte, bis die Menschen sich für ihn entscheiden, sondern sich für die Menschen entscheidet. Ein Gott, der nicht wartet, bis die Menschen sich mit ihm versöhnen, sondern der sich mit den Menschen versöhnt hat. Es begegnet mir in Jesus ein Gott, der sich in Liebe verzehrt zu seinen verlorenen Menschenkindern.

Gott wollte kein menschenloser Gott sein, und er wollte keinen gottlosen Menschen. Für mich ist das Zeichen des Kreuzes zuallererst ein Zeichen des Liebeskummers Gottes. Wer liebt und dessen Liebe nicht beantwortet wird, der beginnt entweder zu hassen oder er stirbt. Und Gott kann seine Menschenkinder nicht hassen. Und darum finde ich es wichtig, dass wir dieses Bild neu in unser Herz kriegen: das Bild eines sehnsuchtsvoll heruntergekommenen Gottes, und nehmen Sie das Wort so, wie es klingt. Wie soll Gemeinde Anteil nehmen an der Sehnsucht Gottes, wenn sie nicht selber hingerissen ist von einem Gott, der sich in Sehnsucht nach uns verzehrt.

Ich habe vor kurzem eine Podiumsdiskussion gehabt mit einer Professorin für Islamische Theologie. Wir haben Artigkeiten ausgetauscht und einander Respekt gezeigt. Als ich begann von einem heruntergekommenen Gott zu schwärmen, der mein Herz erwärmt, weil seine Liebe so unbedingt ist, da wurde meine Partnerin geradezu unruhig und sagte: "Hat es der Allmächtige nötig, so um seine Menschenkinder zu buhlen?". Sie hätten eine Stecknadel fallen hören können. Meine Antwort war: "Der Allmächtige hat es nicht nötig, aber der Liebende kann nicht anders." Mir treibt manchmal die Liebe Gottes Tränen in die Augen.

Ich glaube, dass dies das Proprium unseres Evangeliums ist, das im religionsgeschichtlichen Vergleich kaum eine Alternative hat. Verehrte, wenn Sie sagen, wenn man nur von der Liebe Gottes spricht, dann ist das ein weich gewaschenes Evangelium, so "lieber Gott soft", dann verstehen wir noch nicht die Macht der Liebe. Liebe ist immer stärker als jedes Gesetz und jedes Gebot. Ich glaube, dass ganz viele Menschen zu Gott Zugang finden, weil sie den Richter fürchten, weil sie den Allmächtigen ehren, den Schöpfer. Ja, Gott ist auch Richter, aber es ist ein Unterschied, ob ich einen Vati habe, der Richter ist, oder, ob ich vor einem Richter stehe, von dem ich auch weiß, dass er Vater ist. Für mich ist Gott in Christus Vater geworden, der seine Kinder liebt wie eine Mutter ihre Kinder liebt und wie ein Vater seine Kinder liebt. Ich glaube, dieses Bild muss in uns fest werden, damit wir uns auf den Weg machen und von dieser Sehnsucht Gottes in diese Welt hinein schwärmen.

Regina Polak:

Ich habe mir aus einer praktisch-theologischen Perspektive überlegt: Wo finde ich denn diesen heruntergekommenen Gott, der aus seiner Allmacht in die Ohnmacht der Welt heruntergestiegen ist? Sicherlich im Gebet. In Zukunft können wir die kontemplative Dimension stärken, das In-die-Stille-Gehen. Davon war auch in den Gruppen schon die Rede. Auch die Liturgie ist da wichtig, aber eine Liturgie, die auch zuinnerst aus der Caritas erwächst. Ein strukturelles Problem ist die Trennung der drei Ausschüsse – das gehört zusammen gesehen und behandelt.

Den heruntergekommenen Gott können wir auch im Anderen sehen. Der andere Mensch, der Fremde ist eine Epiphanie Gottes, das ist eine alte biblische Figur. Gott erscheint uns als fremd. Das kann heute sein in den zugewanderten Mitbürgern und Mitbürgerinnen, in den Migranten und Migrantinnen. In Wien kommen 25 Prozent der Katholiken und Katholikinnen aus anderen Ländern, das ist ein ungehobener Schatz, interkulturell und interreligiös zu lernen. Das ist auch nicht immer einfach. Wir finden den heruntergekommenen Gott in den Armen, die mitten in Europa und Österreich sind, wenn wir ihnen ins Gesicht schauen. Beim Straßenbahnfahren kann man das Üben: dem anderen ins Gesicht schauen und wahrnehmen, dass mir Gott begegnet im Antlitz des anderen. So wird die karitative Dimension, die Sorge um die heruntergekommenen Menschen keine ethische Anstrengung, sondern dann entsteht Freude, dann lernen wir von den Armen.

Angeregt durch ihren Begriff des heruntergekommenen Gottes fiel mir ein Römerwort ein (Rom 8,18). Vielleicht befinden auch wir uns in den Geburtswehen einer neuen Schöpfung. Die Stärkung des missionarischen Geistes ist schlicht und einfach die Hoffnung.

Eckard Krause:

Wenn uns der Gedanke ins Herz fallen könnte, dass der heruntergekommene Gott eine Handbreit neben mir ist, in mir ist, durch mich ist, mit mir ist. Wir Christen bräuchten dringend ein neues Selbstverständnis. Ich will das erklären. Dieser schöne Satz aus 2 Kor 5: „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst“ hat ja eine Fortsetzung. Die heißt: „So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns. So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“ Wer in Gott eintaucht, taucht neben dem Armen wieder auf.

Das klappt beim Thema „Mission und Evangelisation“ noch nicht ganz. Das Eintauchen, ja, aber nicht wieder Auftauchen! Natürlich ist das eine der schönsten Erkenntnisse, die ein Mensch im Laufe seines Lebens gewinnen kann: die Erkenntnis, dass Gott für mich da ist. Er ist nicht gegen mich, er ist für mich da. Ich kann mit allem zu ihm kommen. Er liebt mich, obwohl er weiß, wie ich bin. Er hat Zeit für mich, wie ein Vater, der Erbarmen hat, und eine Mutter, die tröstet. Wir bleiben immer Kinder Gottes, egal wie alt wir sind. Kinder werden aber erwachsen. Kinder reifen zu Partnern heran. Ich erlebe viele Christen, die noch beim lieben Gott auf dem Schoß sitzen wollen und nie aus den Kinderschuhen herausgekommen sind. Ein Glaube, der erwachsen wird, wird auch irgendwann begreifen, dass eine Liebesbeziehung partnerschaftlich verläuft: Gott, du bist immer für mich da, jetzt möchte ich auch einmal für dich da sein.

Wie infantil unser eigener Glaube geblieben ist, erlebe ich oft an meiner eigenen Gebetspraxis. „Lieber Gott, guten Morgen, ich brauche das und jenes, Amen.“ Wenn wir beten lernten: „Herr, zeige mir, wo du mich brauchst“, wir könnten uns vor Gebetserhörungen gar nicht retten. Denken Sie an unsere Art, die Bibel zu lesen: Wir suchen Trost. Sicher ist die Bibel auch ein Trostbuch, aber sie ist auch ein Buch, das mich anleiten will und in die Nachfolge führen will. Ich höre gerne die Geschichte des verlorenen Sohnes und schlüpfe in die Rolle des Sohnes, der mit offenen Armen empfangen wird. Aber vielleicht ist die Geschichte auch eine Mahnung an mich, dass ich mich nicht so verhalten soll, wie der zurückgebliebene Sohn.

Ich wünsche mir eine Kirche und Menschen, die es als Auftrag spüren, den Menschen mit offenen Armen zu begegnen, eine Kirche, die auch einmal Hirte ist uns sagt: Ich will mich aufmachen mit der Vollmacht Jesu Christi, das Verlorene zu suchen. Viele Menschen verstehen die Einladung zur Mitarbeit als eine zusätzliche Last. Ich finde es eine unendliche Würde, dass sich Gott, der alle Macht hat, auf so etwas Törichtes wie mich einlässt und sagt: „Ich brauche dich.“ Das gibt meinem Leben einen Adel und eine Würde.

Ich wünsche mir, dass wir die Ermutigung von Mitarbeitern nicht als eine billige Ergänzung aufgrund mangelnder Arbeitskräfte verstehen, sondern dass wir sie als Christen sehen, die Zeugnis von Jesus geben. Ein Lehrer, der nicht lehrt, bekommt ein Identitätsproblem. Ein Maler, der nicht malt, bekommt ein Identitätsproblem. Ein Christ, der nicht Zeugnis gibt, bekommt auch ein Identitätsproblem. Es ist eine Seelsorgeaufgabe, dass wir als Hauptamtliche und die, die wir Verantwortung in der Kirche tragen, andere ermutigen zum Zeugnis, gelebt oder gesprochen, damit der Glaube sichtbar wird.

Regina Polak:

Hier spricht der unerschrockene, protestantische Freigeist, von dem wir Katholiken viel lernen können. Dorothee Sölle hat einen wunderschönen Begriff dafür geprägt, dass Gott mich braucht: „concreatores“ – wir sind Mitschöpfer und Mitschöpferinnen an der Heils- und Erlösungsgeschichte Gottes. Dieses protestantische Freiheitsethos, dieser Mut, das zu realisieren, das ist etwas, was uns an der Entfaltung hindert, missionarisch zu sein. Ich nenne das gerne das „Brave-Kinder Syndrom“. Als Nachfahren von Joseph II. versucht man, die Dinge ordentlich und richtig zu machen. Das ist immer auch die erste Frage: Ist das richtig, wie das gemacht wurde?

Was wir hier gehört haben, ist, dass die Liebe Gottes so groß ist, dass wir diese Mitgestalterschaft auch riskieren können. Ergänzen möchte ich noch eines: Sie haben die Liebe so betont. Ich glaube, die Stärke der katholischen Kirche sind die Gerechtigkeit und die Solidarität. Ein evangelischer Theologe hat einmal gesagt: „Die Gerechtigkeit ist die Form der Liebe.“ Diese Sorge um die politischen Strukturen, um das Gemeinwohl, ist auch etwas, wo ich mir wünschen würde, dass unsere Herzen stärker brennen. Ohne politische und wirtschaftliche Strukturen gibt es zu wenig Freiheit, und ohne Freiheit kann die Liebe nicht fließen.

Eckard Krause:

Zur Gerechtigkeit den Menschen gegenüber gehört für mich auch das Menschenrecht, das Evangelium zu hören. Ich denke, wir müssten auch über unsere Mitmenschen neu nachdenken. Der Mensch ohne Gott ist verloren, das ist richtig, aber in Jesus Christus gibt Gott den Menschen nicht verloren. Weil Gott sein Bild vom Menschen nicht verloren hat, darum kann das Menschen-Bild der Evangelisation oder Mission nicht defizitär sein. Im Gegenteil, wir dürfen von Menschen, auf die wir zugehen, mehr glauben, als sie über sich selber glauben. Und wir dürfen größer über sie denken, als sie über sich selber denken, nämlich verheißungsorientiert. Die Menschen, denen wir begegnen, sind nicht Feinde Gottes, die wir niederringen müssen, die wir mit Argumenten totschlagen müssen, sondern die Menschen, denen wir begegnen sind Menschen, für die Christus auch gestorben ist, nicht für die aktiven Katholiken oder Lutheraner. Er ist für die Welt gestorben – so sehr hat er die Welt geliebt. Und daher sollten wir einen Umgang mit den Menschen pflegen, der verheißungsorientiert ist, in ihnen die Knospe sehen, die aufblühen will. Oder wie es der Schweizer Theologe Karl Barth einmal gesagt hat: Die Menschen, die Welt, das ist die Kirche in spe. Wir würden einen anderen Umgang pflegen, unsere Mission würde nicht aggressiv sein und nicht mit Gewalt zu überzeugen suchen, sondern sie würde liebevoll daherkommen.

Ich sehe meine Mitmenschen mit den Augen Jesu Christi und sehe, dass diese pausbäckige, aufgesetzte Heiterkeit und dieser Stolz, der mir im postmodernen Menschen begegnet, Fassade ist. Um es mit Zulehner zu sagen: Ich erkenne Menschen voller religiöser Sehnsüchte. Wir haben in Deutschland zweimal in den letzten Jahren Amokläufer an Schulen gehabt, zuerst in Erfurt und jetzt in Winnenden. Ich sehe die Menschen ihre Hilflosigkeit ausdrücken angesichts dieser Dramatik, indem sie Kerzen aufstellen und eine Liturgie entwickeln. Ich sehe da auch eine tiefe religiöse Sehnsucht, vielleicht mehr als ich es je in den letzten vierzig Jahren wahrgenommen habe.

Wenn ich in den Restaurants sitze – ich bin viel unterwegs – und zuhöre, wie die Vertreter miteinander reden: Die haben religiöse Fragen, die sie stellen. Nicht die Frage nach einem beliebigen Gott, nicht die Frage nach der Trinität, die uns bewegen, aber Lebensängste, Versagensängste, Zukunftsängste. Das sind religiöse Fragen. Wir leben in einer Kultur, die krank macht, und Menschen sehnen sich nach Heilung. Wir leben in einer Kultur der Hinrichtung, und sie sehnen sich nach Aufrichtung. Menschen, die in einer Kultur der Beliebigkeit leben, sehnen sich nach Festigkeit und Orientierung. Menschen, so hat es Zulehner einmal gesagt, leben unter einem verschlossenen Himmel und suchen den Himmel auf Erden und finden ihn nicht.

Wir müssen lernen, die Menschen mit den Augen Gottes zu sehen und nicht mit der fundamental-theologischen Keule. Wir müssen in ihnen die Geschichte aufdecken, die Gott mit ihnen längst hat. Die spirituelle Sehnsucht der Menschen um uns herum ist groß.

Regina Polak:

Ich wünsche mir ergänzend dazu, dass wir nicht nur die Sehnsucht der anderen wahrnehmen, sondern dass wir unserer eigenen Sehnsucht nachspüren. Ich glaube, dass für uns Christen und Christinnen noch lange nicht das Geheimnis erschlossen ist. Eine Freundin von mir sagte einmal: „Was wäre eigentlich, wenn wirklich wahr wäre, was wir selbst glauben.“ Die Sehnsucht, uns gemeinsam mit den anderen auf die Suche nach der Wahrheit Gottes und Christi zu machen, die uns schon offenbart ist, aber die wir in ihrer ganzen Ausgestaltetheit noch gar nicht wirklich verstanden haben. Daher plädiere ich zu einem Aufbruch nach innen, in die eigene Sehnsucht, und auch nach außen. Und ich stelle die Frage: Wie muss eine Kirche aussehen, strukturell, spirituell und politisch, damit sie ihren Dienst in dieser sich verändernden Welt angemessen versehen kann? Die Aufgaben, die sich uns stellen, die geben wir uns nicht selbst, die gibt uns der Kairos.

Eckard Krause:

Ich glaube, die Kirche muss nicht moderner werden. Wenn sie sich müht, moderner zu werden, ist sie morgen altmodisch. Kirche muss versuchen, evangeliumsgemäßer zu werden. Das ist etwas anderes als modern. Der Bruch zwischen Kultur und Evangelium ist längst vollzogen. Jetzt müssen wir nicht – das habe ich an den Worten des Herrn Kardinals so genossen – anfangen zu lamentieren und zu jammern, sondern ein Ja sagen zu der Situation. Es gibt keine Zeitepoche, die das Evangelium besser adaptiert hat als diese, und es gibt keine Zeitepoche, in der das Evangelium nicht durchgedrungen wäre. Wir müssen unsere Zeit als Chance sehen. Die Menschen heute haben ihre vorgefertigten Rahmen über Bord geworfen und sie sind offen für neue und große Erzählungen. Anstatt zu lamentieren, sollten wir die Chance sehen, die Gott uns durch diese Zeit gegeben hat.

Das setzt aber voraus, dass wir als Gemeinden und Kirche wieder ein Selbstbewusstsein entwickeln. Das ist in ihrer Kirche vielleicht nicht so schlimm wie bei uns, aber in den letzten fünfzig Jahren hat sich die protestantische Kirche gegenseitig übertroffen in der Selbst-Säkularisierung, in der Hoffnung, damit noch mit den Menschen Schritt halten zu können – und genau das Gegenteil ist passiert. Heute suchen Menschen fromme Räume, und sie finden sie plötzlich nicht mehr in der Kirche, sondern in anderen religiösen Angeboten. Ich muss noch einmal Zulehner zitieren. Er sagt, Gemeinde muss wieder „Heil-land“ sein. Dazu muss aber Gemeinde da sein, visuell, physisch erfahrbar; dass Menschen spüren an Menschen, die ihnen begegnen, dass sie aus einer anderen Kraft leben, aus der Kraft der Auferstehung, aus der Kraft der Ewigkeitshoffnung. Gemeinden dürfen keine Rückzugselemente haben, sondern sie müssen zum Aufbruch einladen, befähigen und ermutigen. Wir müssen Menschen in den Gemeinden haben, die bereit sind, diese kulturelle Herausforderung wirklich zu wagen und darin auch zu bestehen.

Jesus lehrt seine Jünger in Matthäus, alles zu halten, was er ihnen befohlen hat. Ich habe in Hannover großes Aufsehen erreicht, als ich in einem Zeitungsartikel geschrieben habe, dass unsere Predigten in aller Regel Erziehung zum Ungehorsam sind. Der Bischof hat mich zu sich bestellt, und ich musste es ihm erklären. Wenn Sie einem Kind dreimal sagen: „Mach die Tür zu“, das Kind macht es nicht und Sie stehen auf und machen die Türe selber zu, da haben Sie dem Kind beigebracht: Das war gar nicht wichtig für dich. So erleben viele Gemeindemitglieder unsere Predigt. Wo gibt es eine Lernkontrolle? Wo fragen wir unsere Gemeinde: „Konntest du mit dem, was ich in der Predigt gesagt habe, etwas anfangen?“ Wo gibt es überhaupt einen Raum dafür? Wann fragen wir: „Wo bist du gescheitert? Wo können wir noch einmal neu kleinere Schritte probieren?“

Ich behaupte, wenn sich eine Kirche so reduziert wie unsere Volkskirche, jedenfalls im lutherischen Raum, und eigentlich nur noch im gottesdienstlichen Handeln präsent ist, hat sie keine Chance, den Herausforderungen der heutigen Welt zu begegnen. Wir brauchen Kleingruppen, in denen personale Beziehung gelebt wird, in denen einer des anderen Last trägt.

Regina Polak:

Der Missionsauftrag hat einen schönen Hinweis in einem Wort, in der Einheitsübersetzung, da steht: Macht alle Menschen zu meinen Jüngern. Wenn man das Wort vom Griechischen übersetzt, sind das die Lehrlinge, die Schüler und die Schülerinnen, die Lernenden. Von da her gehört zu einer missionarischen Kirche vielleicht weniger doktrinäres Selbstverständnis und dafür mehr das Verständnis einer Kirche als Lerngemeinschaft.

(red)


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