Knackpunkte der Apostelgeschichte damals
© Kathbild.at/RupprechtErfahrung – Begeisterung – Brüche – Entscheidung, der Vortrag von Frau Dr. Helga Kohler-Spiegel

Hinführung – Anknüpfung

Sie haben einander eigene Erfahrungen erzählt, was/wer mich im Glauben trägt, im Erzählen wird ja nicht nur Erlebtes erinnert und damit gegenwärtig, sondern dieses Erlebte wird auch in einen größeren Zusammenhang gestellt, gedeutet, eingeordnet. Sie waren bei Ihren eigenen Erfahrungen – jetzt tauchen wir ein in die Atmosphäre des Anfangs. Um die Kraft des Anfangs zu verstehen, ist es gut, sich einen Moment an eigene Anfänge zu erinnern, an den Beginn einer Liebe, an die Hochzeit oder an Priesterweihe oder Profess, an die Babyjahre eigener Kinder, die ersten Berufsjahre… Dem Anfang – so kennen wir es von Hesse - kann „ein Zauber innewohnen“, aber auch Unsicherheit, Konflikte, Ängste. Wir schauen auf den Anfang, auf die Anfänge der Christinnen und Christen, wie sie in der Apostelgeschichte erinnert, erzählt und gedeutet werden.

Damals

Die Zeit Jesu und der ersten Gemeinden war eine Krisenzeit, das vergessen wir manchmal. Die kulturelle und religiöse Identität der Juden war massiv bedroht, es sei nur erinnert, dass der römische Feldherr Pompejus 63 v.Chr. am Jom Kippur, am höchsten Feiertag der Juden, den Tempel betrat und ihn entweihte, um die Beherrschung deutlich zu machen. Und die Menschen damals hofften, dass Gott endlich eingreift, wie damals in der Knechtschaft in Ägypten, wie damals im Exil in Babylon – und wie so oft. Fast alle Gruppierungen in dieser Zeit wollen bewirken, dass Gott endlich einschreitet und die Welt heil macht, dass endlich der Messias kommt und die Welt erlöst. Johannes der Täufer will dieses Einschreiten Gottes bewirken durch Umkehr und Buße, die Zeloten wollen dies durch offenen politischen Widerstand erreichen, die Pharisäer durch kultische Reinheit und das Befolgen der Thora – die Pharisäer hatten ja die Vorstellung, dass der Messias kommt, wenn alle Juden einen Tag lang die Weisungen der Thora genau einhalten, wenn alle einen Tag lang nach der Thora leben. Jesus lebt in dieser Atmosphäre der Hoffnung und Erwartung, und Jesus verkündet die Botschaft, dass Gott hier und jetzt einschreitet, dass er hier und jetzt das Gesicht der Welt verändert, dass das Reich Gottes hier und jetzt da ist: Wo Menschen einander aufrichten und heilen und versöhnen, wo Menschen leben wie Jesus und ihm nachfolgen, da verändert die Welt ihr Gesicht, da ist das Reich Gottes schon da.

Jesus, der diese Botschaft bringt und lebt, wird durch Tod und Auferstehung selbst zur Botschaft. „Er lebt“, so verkünden die Frauen am Grab – und nach dem ersten Schock beginnen die Jüngerinnen und Jünger – Sie kennen das - diese Botschaft weiterzugeben, zuerst ängstlich und verhalten, dann immer mutiger – bis an die Grenzen der damaligen Welt: Indem wir die Botschaft bis heute weitergeben, dass sich Gott uns Menschen bedingungslos zuwendet, und indem wir dies sichtbar machen und handeln wie Jesus, auf diese Art „schreitet Gott ein“ und verändert die Welt zum Guten.

Damit sind wir mitten im Thema: Diese Hoffnung auf Veränderung steht am Beginn des Weges Jesu und der Jesusbewegung, der ersten Christen und Christinnen. Diese Hoffnung haben Menschen bis heute, denn – wie Dorothee Sölle einmal sagte: „Die Hoffnungslosigkeit ist ein Luxus der Reichen.“ Der Geist Gottes, die frohe Botschaft, nimmt ihren Weg – und dafür braucht es Menschen. Die Apostelgeschichte bebildert die Erfahrung, dass „Christus keine Hände hat außer unsere Hände“, dass wir Menschen zerstörerische Botschaften oder eben das froh- machende Wort weitertragen. Es liegt an uns.

Die Perspektive des Lukas

Die Apostelgeschichte ist „Band zwei“ zum Lukasevangelium, um 80 bis 90 n. Chr. vom selben Verfasser geschrieben, es stehen – scheinbar – vor allem die Taten von Petrus und Paulus im Mittelpunkt. So lässt sich das Werk auch übersetzen mit „die Praxis“, die „Taten der Apostel“. Verwunderlich daran ist, dass Lukas nur diejenigen als „Apostel“ bezeichnet, die Jesus zu Lebzeiten kannten und ihm nachgefolgt sind (1,21f), er also Paulus nicht zu den Aposteln zählt und zugleich tut er es doch. Daran merkt man, so habe ich manchmal den Eindruck, dass die Realität viel bunter ist als die Kategorien der (lukanischen) Überlieferung.

Das Lukasevangelium zeigt den Weg Jesu und die Hoffnung, dass der Messias endlich kommt, dass Gott das Gesicht dieser Welt zum Guten verändert. In der Apostelgeschichte geht die Veränderung weiter, die treibende Kraft für diesen Weg der Frohen Botschaft ist der Geist Gottes. Die ersten Christinnen und Christen folgen diesem Geist – meistens. Und die ersten Christinnen und Christen müssen zahlreiche Überraschungen hinnehmen. Immer wieder erleben sie, dass ihre Vorstellungen, wie der Glaube seinen Weg in die Welt nimmt, irritiert und überraschend verändert werden. Immer wieder müssen sie umdenken, die Grenzen ihrer eigenen Vorstellungen und Prägungen überschreiten. Vielleicht gilt das auch heute.

Lukas erzählt aus seiner Perspektive, mit seiner Erzählabsicht. Dazu gibt es viel zu sagen, vorrangig kann betont werden, dass Lukas bereits zurückschaut auf die damalige Zeit und idealisierend den Anfang erzählt. Wie ein Paar nach einigen Jahren Ehe zurückschaut auf den Beginn, oder Eltern mit pubertierenden Kindern sich erzählen, wie der Anfang war, wie schön es mit den Kindern war, als sie klein und vielleicht unkomplizierter waren. Christinnen und Christen, damals wie heute, brauchen die Erzählungen und die Erinnerungen vom “guten Anfang“. Die Apostelgeschichte erzählt aber auch von Konflikten und Schwierigkeiten, von Auseinandersetzung und von Versöhnung, sie erzählt immer wieder, dass der Geist Gottes, dass der „Ich-bin-da“ weiterhin da ist, dass Gott die Menschen begleitet.

Gemeinde – Ein idealer Anfang – oder doch nicht….

Ich habe schon kurz davon gesprochen: Die Idealisierung des Anfangs. Aus dem Rückblick scheint manches besser, schöner, harmonischer – wir haben heute Nachmittag schon davon gehört. Es stimmt einfach nicht, wenn man sagt: „Früher war alles viel besser.“ Dennoch – Lukas schaut zurück, aber nicht naiv idealisierend, sondern differenziert. Apg 2, 43-47 ist einer der berühmten Texte, wie gut der Anfang war – hoffentlich. Wie bei einer Liebe, die hoffentlich gut begonnen hat. Aber es war schon zur Zeit des Lukas mehr Ideal als Wirklichkeit. Lukas führt uns vor Augen, welches Verhalten für die Gemeinschaft förderlich ist. Und er zeigt uns an Hananias und seiner Frau Saphira, was für die Gemeinschaft tödlich ist: die beiden – so ist es uns überliefert – haben ein Grundstück verkauft und viel von diesem Geld – freiwillig – der Gemeinde gegeben, das ist wunderbar. Aber sie gaben diesen Betrag als Gesamteinnahme für das Grundstück an. Sie taten so, als wäre es das ganze Geld, das sie hergaben. Und da sagt der Text, dass das Vorspielen falscher Frömmigkeit tödlich sei. Falsche Frömmigkeit, so sagt Lukas am Beginn, ist tödlich – für die Betroffenen selbst und für die Gemeinde. Eine interessante Warnung am Beginn der Apostelgeschichte.

Natürlich gab es Konflikte unter den ersten Christinnen und Christen. In Apg 6,1 wird ganz nüchtern erzählt, dass bei der täglichen „Armenspeisung“ die ausländischen Witwen übergangen werden. Die sozial schwachen Hellenisten, Ausländerinnen mit mangelnder Sprachkenntnis (sie können Griechisch, aber kein Aramäisch oder Hebräisch), sie haben keine große Verwandtschaft im Hintergrund, sie sind armutsgefährdet. Spannend ist die Lösung, die uns die Apg erzählt: Der Konflikt wird nicht abgetan oder verharmlost oder verzögert, sondern: „Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammen.“ (6,2a) Es wird gemeinsam besprochen und nach einer Lösung gesucht. Lukas überliefert: Es geht nicht darum, wer schuld ist, diese Frage wird gar nicht gestellt. Die Lösung liegt in einer Veränderung der Struktur, denn mit den vorhandenen Kräften, so zeigt sich, ist das Problem nicht lösbar, sondern immer an der Überlastung der Apostel gescheitert. Sie sagen: „Wir haben schon so viel zu tun, das können wir nicht auch noch.“ Also werden sieben Männer für diese Aufgabe gewählt, Verantwortung wird an die Betroffenen selbst delegiert, denn die genannten Namen, Stephanus und die anderen sechs haben griechische Namen. Und das Problem wird dort gelöst, wo es entstanden ist: In der Gemeinde, für die Gemeinde, gewählt, beauftragt. Also – keine Angst vor Konflikten, sie gehören dazu. Aber die Lösung ist notwendig und sie liegt im gemeinsamen Gespräch, Veränderung geschieht, als „die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammenriefen.“ (6,2a) Das soll auch in diesen Tagen hier in Wien geschehen: Alle zusammengerufen, miteinander im Gespräch.

Dann aber kommt es zu einem neuem Pfingsten: In Apg 10, 1- 11, 18 betritt Petrus Neuland. Obwohl wir schon im Erzählzyklus des Paulus sind, ist es hier ganz wichtig, dass Petrus diesen revolutionären Schritt macht. Sehr ausführlich wird beschrieben, was Gott alles aufbieten muss, es braucht Visionen und Himmelserscheinungen, um Petrus zu diesem Handeln zu bewegen. Und mit diesem Schritt geht Petrus über eine Grenze, so sehr, dass er – zurück in Jerusalem – sofort dafür angegriffen wird. Er tauft einen „Heiden“, wie man lange Zeit gesagt hat, vermutlich dem Jüdischen nahestehend, ohne Jude oder Jüdin zu sein, auf jeden Fall einen Nicht-Juden. Und wie Jesus, entgegen den jüdischen Vorschriften, feiern sie – der Jude Petrus und die Nicht-Juden – gemeinsam Mahl, sie essen zusammen und beten. Und es geschieht das Unglaubliche: Gemeinschaft über die Grenzen. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau…“ um es mit Gal 3,28 zu sagen.

Paulus – bikulturell, offen für Veränderung…. Ein Modell für Verkündigung

Von keiner anderen Person aus der Zeit des Neuen Testaments haben wir so viele eigene Zeugnisse wie von Paulus. In seinen Briefen beschreibt er, dass er vom gläubigen Juden zum Bekenntnis zu Jesus gefunden hat, ohne zu erzählen, wie dies genau geschah. Er gibt Auskunft über seine Überzeugungen und über seinen Weg als Missionar. Er erwähnt die Menschen, von denen er gelernt hat, mit denen er unterwegs war, mit denen ihn Freundschaften und Konflikte verbinden. Innige Worte finden wir bei ihm ebenso wie zornige Schimpfworte, ein Mensch mit Ecken und Kanten, mit seiner Krankheit und seiner Hoffnung wird er in seinen Briefen lebendig.

Lukas erzählt – aus seiner Perspektive – den Weg des Paulus. Die Berufung, besser gesagt die „Lebenswende“ des Saulus, lateinisch Paulus, ist zu datieren auf ca. 32 n.Chr., sehr knapp nach der Ermordung Jesu. Sie ist wie eine Prophetenberufung überliefert (Apg 26 v.a.), der verkündigende Paulus wird damit zu den Propheten gezählt – auch für ihn verändert die Begegnung mit Christus das ganze Leben. Paulus verliert Sicherheit und Freunde, er muss sich völlig neu orientieren – das alles sagt sich so leicht. Allein dabei zu verweilen, wäre spannend: Meine Lebenswenden, manchmal frei gewählt, manchmal vom Leben zugemutet, manchmal vielleicht von Gott bestimmt - meine Lebenswenden, die meine eigenen Überzeugungen, meinen Freundeskreis, mich selbst verändert haben. Davon könnten wohl auch wir erzählen.

Ich sprach bereits bei Petrus, beim zweiten Pfingsten vom Überschreiten eigener Vorstellungen. Auch die verschiedenen Gruppen innerhalb der christlichen Gemeinden hatten ihre Prägungen und ihre Vorstellungen von dem, was zu tun ist, wie man das Leben „richtig“ lebt. Das war damals so und ist es wohl bis heute. Während die Jerusalemer Gemeinde ihre Heimat im Jüdischen hat, sind die Hellenisten mehr im Griechischen zuhause. Paulus hat aufgrund seiner Biographie den Vorteil, dass er in zwei Kulturen und in zwei Sprachen groß geworden war, dass er in der griechischen Kultur, wie sie damals den östlichen Mittelmeerraum geprägt hat, zuhause war, und dass er ebenso jüdisch erzogen und ausgebildet war. Bikulturell zu sein war seine große Stärke. Und damit lehrt uns die Apostelgeschichte von Beginn an: Verkündigung knüpft an unseren eigenen Fähigkeiten und Stärken an, und Verkündigung knüpft an die Vorstellungen und Bilder der jeweils angesprochenen Menschen an. Beide Perspektiven sind wichtig. Wenn uns Lukas eine Predigt von Petrus auf dem Tempelplatz in Jerusalem überliefert, dann ist diese von der Sprache und den Bildern des Alten Testaments, der Thora, geprägt. Sie war den Menschen vertraut, sie war auch Petrus vertraut, daran konnte Petrus anknüpfen. Und wenn Lukas die Rede von Paulus auf dem Areopag in Athen überliefert, dann knüpft Paulus an die religiösen Vorstellungen und populären Überzeugungen seiner griechisch (genauer gesagt: „hellenistisch“) geprägten Zuhörerinnen und Zuhörer an – und Paulus kann daran anknüpfen, weil er selbst die hellenistische Kultur kennt.

Die Zeit damals war eine multikulturelle Zeit. Das vergessen wir manchmal. Das römische Reich war religiös und kulturell ungemein bunt, wer die Staatsmacht Rom anerkannte, konnte religiös den eigenen Weg gehen. So gab es eine enorme Vielfalt an Religionen und Kulten. Die junge Kirche, die ersten Christinnen und Christen, wissen sich als Teil dieser Welt, nicht abgeschottet oder abgegrenzt, sondern mitten in der damaligen Welt. Der Glaube und die Gemeinschaft geben Identität: die Feier von Brot und Wein, das Lesen der Thora, das gemeinsame Gebet zum Vater. Beten, fasten und Almosengeben, diakonisches Handeln… - jede Generation muss von neuem fassen, was Identität gibt, was den Kern im Glauben ausmacht.

Notwendige Klärungen

Der Auftrag Jesu hieß: „Geht hinaus…“ Bringt den Menschen die Frohe Botschaft, dass wir nicht mehr auf das Reich Gottes warten müssen, sondern dass Gott bzw. das Reich Gottes schon mitten unter uns ist, wenn wir so leben wie Jesus und ihm nachfolgen. Und diese Botschaft tragen die „Mitarbeiter“ und „Mitarbeiterinnen“, wie Paulus diejenigen nennt, die in der Verkündigung tätig sind, weiter zu den Menschen. Männer, Frauen, Ehepaare – das Geschlecht und der Lebensstand tun nichts zur Sache, wir wissen von Frauen wie Prisca oder in der Koseform Priscilla mit Aquila, wir wissen um Lydia und Damaris, um Prophetinnen, Missionarinnen und Vorsteherinnen in Gemeinden. Gemäß Gal 3,28 – „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer’ in Christus Jesus.“ – sind Unterschiede in Geschlecht, Herkunftsreligion und –kultur sowie sozialer Status nicht von Bedeutung.

Der Begriff „Mission“ im engeren Sinn ist erst im 16. Jahrhundert von den Jesuiten eingeführt worden; „gesandt zu sein“ und zu „senden“ taucht sehr wohl in der Bibel auf. Es ist der Auftrag Jesu nach der Auferstehung. Unser Bild einer geordneten und strukturierten Ausbreitung des Christentums müssen wir aber wohl loslassen. Forschungsmäßig geht man heute vielmehr von einer eher informellen Verbreitung aus, durch Jerusalempilger, durch Vertreibung und Flucht, durch internationalen Handelsverkehr, durch Sklavenhandel und durch die Missionare und Missionarinnen, die das mitgeprägt haben.

In dieser frühen Zeit der Christen wird von „Pioniermission“ (Wolfgang Reinbold 2000) gesprochen. Danach war es nicht statthaft, dort das Evangelium zu verkünden, wo Christus bereits genannt wurde. Und es war „Zentrumsmission“, Paulus konzentrierte sich auf Provinzstädte (er war ja selbst ein Stadtmensch von Tarsus) und er vertraute darauf, dass sich die Botschaft von dort weiter verbreitete. Und – wie schon gesagt – untereinander verließ man sich auf zahlreiche „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“, wie sie in den Paulusbriefen genannt werden. Genau diese Mischung von unstrukturierter, informeller Verbreitung verbunden mit strukturierter Verkündigung, die notwendige Konzentration, Schwerpunktsetzung … - da steckt Sprengstoff bis heute drinnen.

Natürlich brauchte und braucht es Regelungen, grundsätzliche Richtungsentscheide: Im sog. „Apostelkonvent“ geht es um die Frage, ob Nicht-Juden, „die Christus-Gläubigen aus den Völkern“, wie sie genannt werden, gleichberechtigt in die christliche Gemeinschaft aufgenommen sind. Oder anders gesagt, ob es spezielle Bedingungen für Nicht-Juden für die Aufnahme in die Gemeinschaft geben darf oder muss. Die Praxis hatte sich bereits entwickelt, vor allem außerhalb Jerusalems. Christen und Christinnen mit jüdischer und nicht-jüdischer Herkunft beten und essen miteinander, ohne weitere Bedingungen. Auch Petrus hatte daran teilgenommen, ich hatte davon gesprochen, in Jerusalem wurde ihm dies massiv zum Vorwurf gemacht (11,1). Deshalb war eine Klärung wichtig geworden. Während Paulus den Konflikt deutlich benennt (Gal 2,1-14), entsteht in der Apostelgeschichte (Apg 15) der Eindruck, dass nur „einige Ärger machten“ und alle Christen und Christinnen auf die jüdischen Riten und Verhaltensgebote verpflichten wollten. Ohne auf die Spannungen rund um den Apostelkonvent einzugehen, bleibt bis heute eindrücklich: Es braucht Menschen, die klar Position beziehen, die die Auseinandersetzung nicht scheuen, die miteinander reden und streiten - so dass es zu Lösungen kommen kann. Immer wieder wird Apg 15 als „modellhafte“ Problemlösung gepriesen, als Beispiel für eine „Win-win-Situation“ – vielleicht finden Sie einmal Zeit und Muße, diesem Text genauer nachzugehen. Ralf Neuberth nennt im Anschluss an Apg 15: Streitfragen werden klar und transparent benannt, sie werden unter Beteiligung aller Betroffenen erörtert – Kardinal Schönborn hat am Nachmittag schon davon gesprochen – verschiedene Personen kommen zu Wort, es wird sachorientiert diskutiert, die Tradition UND die gegenwärtigen konkreten Erfahrungen werden beachtet, alle Seiten sind kompromissbereit und lösungsorientiert, entschieden wird die Frage von der Ekklesia, von der Vollversammlung der Christinnen und Christen vor Ort. Denn „ekklesia“ ist in der Antike die Versammlung der freien Bürgerinnen und Bürger einer Stadt, die über ihre Belange entscheiden. Auch der Beschluss wird „Dekret“ genannt, ein Begriff, mit dem die Beschlüsse der Stadtversammlungen aller Bürgerinnen und Bürger beschrieben werden.

Und für heute?

Ich fasse zusammen: Das Interesse an Religion war im 1. Jahrhundert groß, die Vielfalt im Religiösen war selbstverständlich. Die ersten Christinnen und Christen gingen davon aus, dass es überall in der damaligen Welt kleine Gemeinden geben sollte oder bereits gab, in denen die Frohe Botschaft gelebt und weitergeben wurde. Damit war die Möglichkeit gegeben, dass Menschen den Glauben an Christus – in der Vielfalt der Religionen – kennenlernen konnten, das genügte. Denn der Glaube selbst wird nicht von Menschen in der Verkündigung gemacht, er ist ein Geschenk.

Erzählen heißt immer, so habe ich heute Abend begonnen, Erlebtes gegenwärtig zu halten, und zugleich dieses Erlebte in einen größeren Zusammenhang zu stellen, zu deuten, einzuordnen. Das macht Lukas, wenn er die Ausbreitung des Evangeliums als mehr oder weniger harmonische Entwicklung von Jerusalem nach Rom darstellt, wenn er die werdende Kirche als harmlose, politisch ungefährliche Gemeinschaft darstellt, die zu Unrecht von jüdischen Autoritäten bedroht und diffamiert wird. Hier merkt man die Erzählabsicht des Lukas deutlich. Wir wissen, dass es keine „harmonische“ Entwicklung war, aber wir erfahren spannende Geschichten von mutigen Frauen und Männern, von Grenzüberschreitungen, von Streit und Konflikten, vom Weg des Wortes bis an die Grenzen der Welt. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Für die ersten Christinnen und Christen war in knappen Bekenntnissen fassbar, was zu glauben und zu hoffen mir wertvoll ist. Dieser Anstrengung werden wir uns stellen müssen: Immer wieder neu in eigenen, in knappen Worten benennen können, was der Kern meines Glaubens ist. Dafür brauchen wir Sprache, um sprachfähig zu werden, was unsere Hoffnung und unser Glaube ist. Zusammen mit anderen werden wir um die Worte ringen, um – wie damals – anschlussfähig zu sein mit unseren Worten und Bildern, an den Orten, wo wir selbst stehen. Oder direkt gesagt: Damit wir verstehbar sind, wenn wir von Gnade und Freiheit und Liebe und Glück und Erlösung… reden.

In Apg 4,20 heißt es wörtlich – das ist einer der Kernsätze dieser Tage: „Denn nicht können wir (über das), was wir sahen und hörten, nicht reden.“ Nicht nicht reden – wunderbar. In der Familie, am Arbeitsplatz, in der eigenen pfarrlichen Gruppe… - wo immer: es heißt nicht viel reden, sondern von dem reden, was wir „gesehen und gehört haben“, oder direkt gesagt: was wir erlebt und erfahren haben, was mir so wertvoll ist, dass ich es weitergeben will.

In Apg 15,4b heißt es wörtlich: „Angekommen aber in Jerusalem, wurden sie empfangen von der Gemeinde und den Aposteln und den Ältesten, und sie berichteten, wie viel Gott getan hatte mit ihnen.“ Ich möchte Ihnen am Schluss meiner Ausführungen mitgeben, dass wir dann lieber erzählen, wenn wir „empfangen“ werden, wenn „die Gemeinde und die Apostel und die Ältesten“ – alle werden aufgezählt, alle sind da und haben Interesse an dem, was sie erlebt und auch erlitten haben. Im und für den Glauben Zeuge, Zeugin sein, braucht, so glaube ich, Menschen, und zwar „die Gemeinde und die Apostel und die Ältesten“, die uns empfangen und uns zuhören und die wir empfangen und zuhören.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, die Apostelgeschichte ist getragen von der Gewissheit, dass das Wort seinen Weg macht, und dass dieser Weg miteinander geschieht, als Gemeinschaft. Die Apostelgeschichte erzählt: Da sind verschiedene Menschen, nicht nur Paulus oder Petrus. Und es ist ein Klima von Vertrauen, aber auch von Auseinandersetzung und Streit. Es ist keine heile Welt, auch wenn Lukas idealisierend zurückschaut. Im Rückblick ist es nämlich leichter, die Konflikte einzuordnen und zu deuten. Solange wir mitten drin stecken, wissen wir oft nicht, wohin sich die Lösung entwickeln wird und wer sich durchsetzen wird. Es ist keine heile Welt, aber beide Bände des Lukas, das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte sind von dieser Hoffnung getragen, dass wir nicht mehr auf das Reich Gottes warten müssen, sondern es da ist, mitten unter uns. Diese Hoffnung trägt Christinnen und Christen seit zweitausend Jahren, sie trägt hoffentlich auch uns hier.


Druckansicht
Zurück