Schreibt die Apostelgeschichte durch Euer Leben weiter
© stephanscom.atWortlaut der Predigt von Pater Johannes Lechner beim Sendungsgottesdienst der Diözesanversammlung im Rahmen von Apostelgeschichte 2010 am Samstag, 24. Oktober 2009 im Stephansdom.

Das Projekt "Apostelgeschichte 2010" hat begonnen, der Prolog ist sozusagen geschrieben. Ein Hauch von Apostelkonzil auf Wienerisch. Und wenn ich sehe, wie die Christen der Diözese sich auf den Weg machen, möchte ich mit den Augen des Heiligen Johannes sagen, der im Sichtbaren das Unsichtbare sieht, und das sind die Augen des Glaubens: "Es ist der Herr". Er ist hier mitten unter uns und Er wirkt. Wir haben viel gehört in diesen drei Tagen. "Sie erzählten alles, was Gott mit ihnen zusammen getan hatte" und "bereiteten damit allen große Freude" (vgl. Apg 15, 3-4). Wir haben viel gebetet. Wir sind voller Freude, neugierig gespannt und erwartungsvoll für die Zukunft, oder vielleicht müde oder enttäuscht. Jetzt sind wir alle zusammengekommen, um gemeinsam den Sendungsgottesdienst zu feiern und uns vom Herrn neu senden zu lassen.

Von Enttäuschung und vergebener Mühe zu neuen Sendung

Da ist zuerst Petrus: er geht fischen. Er kehrt zu seinem Alltag, zu seinem Metier zurück. Eigentlich hat er keinen Auftrag dazu. Die andern Jünger kommen mit und sie fangen nichts die ganze Nacht hindurch. Erfahrung der Erfolglosigkeit, der Vergeblichkeit. Und Jesus ist da am Ufer, aber sie erkennen ihn nicht. Die Frage Jesu an die Jünger im griechischen Urtext kann man so übersetzen: Ihr habt wohl keinen Fisch? Eine freche Frage Jesu. Und das zu Profis! Sie werfen das Netz nochmals aus auf das Wort Jesu hin und da wird ihnen der wunderbare Fischfang geschenkt. Sich senden lassen, das ist ein Wagnis. Die Netze nach den erfolglosen Nächten, der Erfahrung von Misserfolg und Vergeblichkeit neu auszuwerfen, fordert unseren Glauben heraus. Die Frage Jesu spricht durchaus in unsere Kirchenerfahrung hinein: "Ihr habt wohl keinen Fisch"? Viele würden da einhaken und sagen: "ja, der Kirche schwimmen die Fische davon". Die Perikope von Joh 21 führt zurück zur ersten Erfahrung mit Jesus, zur Zeit der ersten Liebe, zur ersten Sendung, und ist eine Prophetie der Mission der Kirche, vom Auferstandenen gegeben für alle Generationen: von Generation zu Generation wird sich der reiche Fischfang wiederholen, für den, der sich einlässt auf das Wort des Herrn. Wir wollen die Netze neu auswerfen im Blick des Glaubens auf den Auferstandenen Herrn, auf sein Wort, auf seinen Sendungsauftrag, den er uns anvertraut. Am Boden ist ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot. Das Kohlenfeuer erinnert an das andere Kohlenfeuer, wo Petrus im Hof des hohepriesterlichen Palastes stand und sich wärmte, und den Herrn drei Mal verleugnete. Von Kohlenfeuer zu Kohlenfeuer, vom Sünder zum Menschenfischer. An der Gestalt des Petrus zeigt uns der Herr: auch wenn wir versagt haben und Christus verleugnet, auch wenn wir vor dem Kreuz geflohen sind, er wartet auf uns und schenkt uns einen neuen Anfang, eine neue Liebe. Das ist die Grunderfahrung, die wir nach außen tragen dürfen, und die viele Fische fangen wird, exemplarisch am ersten Papst dargestellt. Die Erfahrung der Barmherzigkeit des Herrn ist der erste große Schatz, über den wir nicht schweigen können. Von dieser Erfahrung her gibt es Sendung und wunderbaren Fischfang. Es ist der Herr. Der Jünger, den Jesus liebte, erkennt seine Gegenwart. Es braucht die Kontemplation, das wache Herz, das Beten und die Stille, um im Alltag, in den Geschehnissen den Auferstandenen zu erkennen, im Sichtbaren seine unsichtbare Gegenwart. Und es braucht auch den Blick dessen, der unter dem Kreuz stehen konnte. Weise Menschen sind oft Menschen die starke Lebensbrüche durchgemacht haben, viel gelitten haben, aber ohne das ihnen die Liebe abhanden gekommen ist. Die Jüngerschaft der Zukunft braucht dieses johanneische unter dem Kreuz stehen können, das Schauen auf den Durchbohrten und sein geöffnetes Herz, das Hören auf seinen Schrei "Mich dürstet", und die tiefste eigene Identität in der Liebe Jesu zu finden.

Ein Segen sein: Gutes denken, Gutes reden, Gutes tun

Für unsere Sendung sehe ich ein massives Hindernis unter uns. Ich möchte es hier aussprechen. Die lieblose Kritik aneinander, das zu rasche Verurteilen, Lamentieren und Nörgeln. Wir zerkrachen uns so leicht. Die Liberalen reden schlecht über die Konservativen und umgekehrt! Und dabei handelt es sich nicht einmal um biblische Kategorien! Wie jemand einmal sagte: vor den Liberalen musst du dich nicht in Acht nehmen, die wollen, das sich was tut und verändert. Vor den Konservativen musst du dich auch nicht in Acht nehmen, die wollen das Gute bewahren. Vor den Aggressiven musst du dich in Acht nehmen und vor denen, die sagen, es macht eh alles keinen Sinn, es ist alles "wurscht".   Die geistliche Tradition kennt für diesen Zustand ein Wort: die "acedia", diese Mischung von geistlicher Lustlosigkeit, Aggression und Frust. Jemand mit zuviel Saures, zuviel Essig im Salat. Das äußert sich, wenn wir schlecht übereinander sprechen. Wie viel Härte gibt es hier unter uns! Fragen Sie sich: wen kann ich überhaupt nicht leiden in der Kirche? Welcher Priester ist mir zuwider? Welcher Bischof zu feig? Welche Gruppierung halt ich nicht aus? Wen haben wir schon abgeschrieben? Hier braucht es viele Tränen der Reue, Umkehr, Buße und Vergebung.  Ich bitte Sie um eine konkrete Buße: dass Sie bis zur nächsten Diözesanversammlung im März, wenn Sie über jene Gruppe sprechen, die Ihnen am meisten auf den Geist geht, einmal nur gut über sie sprechen - sich dafür  interessieren, wo das Gute bei den "anderen" ist, es sehen  lernenn. Und vielleicht zu sagen: "Es ist der Herr". Er wirkt, vielfältig und unterschiedlich, so unterschiedlich wie bei Johannes dem Täufer und bei Jesus: "Johannes ist gekommen, er ißt nicht und trinkt nicht, und sie sagen: Er ist von einem Dämon besessen. Der Menschensohn ist gekommen, er ißt und trinkt; darauf sagen sie: Dieser Fresser und Säufer, dieser Freund der Zöllner und Sünder! Und doch hat die Weisheit durch die Taten, die sie bewirkt hat, recht bekommen" (Mt 11, 18-19). Und doch hat die Weisheit durch alle ihre Kinder recht bekommen (Lk 7, 35).  Sind Sie dabei? Dann bitte ich Sie, jetzt kurz sich hinzuknien.  Eigene Umkehr und Mission sind untrennbar. Das größte Geschenk, das wir unserer Welt anbieten können, ist unsere Einheit. Gerade unsere Einheit in der Verschiedenheit ist das Zeugnis für die Gegenwart Christi unter uns. Ich erreiche nur dann was beim anderen, wenn ich mich selbst verändere. Übereinander Gutes denken, übereinander Gutes reden, einander Gutes tun: das heißt füreinander zum Segen werden. Segnen ist ja "Eu-logia", "bene-dicere". Und so wird das Fischernetz Petri, wie Madeleine Delbrel sagt, aus den vielen Freundschaften geknüpft. Die Erfahrung der Freundschaft mit Jesus macht uns auch freundschaftsfähig untereinander. Wir haben einen gemeinsamen Freund und so wird Vertrauen möglich.

Mission: Das Gute im andern sehen und Gottes Gegenwart sichtbar machen

Dann können wir auch den vielen Menschen so begegnen. Mission hat ihren Sitz im Leben, im wirklichen Leben. Im Hinhören auf den andern. Im Wertschätzen des andern. Im Anerkennen des andern. Den guten Kern im anderen vermuten. Das Wohlwollen. Der Mensch ist Abbild Gottes. Wir haben in der Nachfolge Jesu den Auftrag, als Abbilder Gottes Gott sichtbar zu machen. Wir können Gott nicht zu den Menschen bringen und brauchen das auch nicht. Denn Gott ist bereits gegenwärtig im Leben eines jeden Menschen, und Er begleitet ihn während seiner ganzen Lebensgeschichte hindurch. Unsere Aufgabe ist es, die Gegenwart Gottes in unserer Welt zu enthüllen. Das griechische Wort für Wahrheit heißt "aletheia", und das bedeutet Enthüllung, Entschleierung. Durch uns soll Gott sichtbar werden. Das bedeutet eine besondere Aufmerksamkeit für das Kleine, Verborgene, Schwache und Leidende. So wenig man auf den ersten Blick Gott im Kind in der Krippe und am Kreuz von Golgotha vermuten würde, genau so wenig sehen wir Ihn in allem, was dem Kind und dem Leidenden gleicht. Wer behutsam die Menschen begleitet, der wird sie auf die Gegenwart Gottes in ihrem Leben verweisen können. Denn Er ist niemandem von uns fern.  Es ist ein Hinhören auf die Lebensgeschichten, auf die Größe und die Zerbrechlichkeit des Menschen. Und in diesem Hinhören, in das wirkliche Leben hinein kann man dann das Kerygma sagen, ein Wort aus dem Evangelium, ein Zeugnis, wie du mit Trauer fertig wirst, wie du hoffst, wie du glaubst, wie du liebst.          
Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe (Klaus Hemmerle, 1929-1994, Bischof von Aachen). Und im Hinhören auf eine Lebensgeschichte wie Johannes die Wachsamkeit zu haben und aufzuzeigen: "Es ist der Herr". Gott ist schon da in deinem Leben! Es geht darum, Entwicklungshelfer dieses Sehens zu sein. Wir dürfen von den Menschen größer denken als sie selber. Einen verheißungsorientierten Umgang mit den Menschen haben. Die Knospen in ihnen sehen. Die Menschen und die Welt sind die Kirche "in spe". So wird Mission nicht aggressiv, sondern liebevoll.

2010 feiern wir den 100. Jahrestag der Geburt einer großen Missionarin der Nächstenliebe: die selige Mutter Teresa von Calcutta.  Sie pflegte zu sagen: "Lasse nie zu, dass du jemandem begegnest, der nicht nach der Begegnung mit dir glücklicher ist." Mutter Teresa schärfte ihren Schwestern und Priestern immer wieder ein: "Unser Apostolat ist ein Apostolat des Lächelns". Das Lächeln ist der erste Ausdruck der Liebe, der Zuwendung, des Wohlwollens. Wie ist die Freude in meinem Leben gereift? Bin ich freundlicher geworden, zu Fremden und Freunden? Mutter Teresa spricht sogar vom Lächeln, das das eigene Leid vor dem anderen verbirgt.  Jemand sagte mir: "Viele Geistliche suchen nicht den Augenkontakt mit den Menschen, geschweige denn, dass sie lächeln würden"! Es schmerzt, wenn man übersehen wird. Das Lächeln ist das erste Zeichen der Liebe, ein internationaler Code: Ich mag dich und bin dir wohlgesonnen. Es ist kein Wiener Privileg, unfreundlich zu sein und nicht zu lächeln! Das Lächeln öffnet mich für den andern.

Humor, einem Menschen das Evangelium weitergeben und Jesus folgen

Humor statt Menschenfurcht und Angst, wegen des Glaubens kritisiert zu werden.  Ich denke an den Wiener Stadtpatron Klemens Maria Hofbauer. Er sammelte Geld für  seine Waisenkinder. Soviel zum Engagement für die Caritas. Er klopfte beim reichen Bäcker an und bat um eine Spende. Der spuckte ihm als Reaktion ins Gesicht und sagte: hier meine Gabe. Darauf wischte sich Klemens Maria die Spucke vom Gesicht und sagte: gut, das war jetzt für mich, und jetzt hätte ich gerne etwas für meine Waisenkinder. Diese Antwort hat den Bäcker entwaffnet und er hat ihn zukünftig unterstützt.

Ich denke auch an eine 75jährige Urwienerin, die mir diese Woche folgende Geschichte erzählt hat: Sie machte Hausbesuche. Ein Mann öffnete ihr, und als er hörte, dass sie von der Pfarre kam, brüllte er gleich los: "Ich hab meiner Frau und meinem Kind verboten, in die Kirche zu gehen, die wollen alle nur Geld". Sie sagte ganz ruhig: "Oh, Sie sind Choleriker". Zuerst war er baff, dann brüllte er noch lauter. Als er fertig war, sagte sie: "Entschuldigen Sie, das war nicht böse gemeint. Ich war 25 Jahre mit einem Choleriker verheiratet. Wenn die Luft weg ist, sind das die liebsten Menschen". Dagegen hatte er kein Argument. Sie besprach mit ihm das Problem mit dem Kirchenbeitrag. Er war arbeitslos, sie ging für ihn auf die Beitragsstelle und das Konto wurde auf null gestellt. Als sie ihm den Bescheid brachte, sagte er noch: "Sie haben ja gesagt, i bin narrisch". Sie widersprach ihm und meinte: "Na, des haben Sie jetzt gesagt". Da mussten sie beide lachen. Das Schönste war dann für sie, bald darauf die ganze Familie in der Kirche beim Sonntagsgottesdienst zu treffen.

Einen Menschen zu haben, an den man das Evangelium weitergibt

Lukas schreibt für Theophilus die Apostelgeschichtet. Haben Sie schon einen Theophilus, dem Sie das Evangelium weitergeben? Das beginnt beim Einladen zum Gottesdienst, zur Eucharistiefeier, zu jenem Kohlenfeuer, wo Jesus mit Brot und Fisch auf uns wartet. Vergangenen Sonntag passierte Folgendes in meiner Pfarre in Genf:  Pamela ist ein 24-jähriges Mädchen, das vor kurzen über Freundinnen zum Glauben an Jesus gefunden und sich jetzt entschieden hat, sich auf die Taufe vorzubereiten. Sie steht ganz am Anfang. Sie hat während der Woche einen jungen Mann aus England getroffen, der ihr erzählt hat, wie sehr er mit Gott hadert, da er einen seiner besten Freunde in einem tragischen Autounfall verloren hat. Seit sieben Jahren war er in keiner Kirche mehr. Sie hat ihn einfach nur eingeladen, am folgenden Sonntag mit ihr zum Gottesdienst zu kommen. Und er kam. Sie ist auch sehr fesch, das hat sicher mitgespielt. Nach sieben Jahren sah er wieder eine Kirche von innen. Er hat noch kein Halleluja gesungen. Er bleibt mit seinen ganzen Fragen. Aber er spürte eine Kraft und eine Anwesenheit. Und er wird am Allerseelentag wiederkommen zum Gottesdienst für die Verstorbenen. Pamela, noch nicht getauft, ist schon eine Missionarin der Nächstenliebe. Das Kohlenfeuer brennt, nicht spektakulär, aber es wärmt und darauf wird gute Nahrung zubereitet.

Eine Seele gibt nur das weiter, wovon sie selbst übervoll ist. Tragen wir Christus in unserem Herzen, und alles, was wir tun, wird Seine Gegenwart in diese Welt ausstrahlen. Wenn wir Jesus folgen, werden uns die Leute folgen. Das ist die Erfahrung aller Heiligen. Der große vietnamesische Kardinal François Xavier Nguyen Van Thuan hat einmal gesagt: "In meinem langen und bewegten Leben habe ich folgende Erfahrung gemacht: Wenn ich Jesus treu folge, Schritt für Schritt, dann führt Er mich zum Ziel. Ihr werdet auf unvorhersehbaren, bisweilen gewundenen, dunklen, dramatischen Pfaden gehen, aber seid zuversichtlich: Ihr seid bei Jesus! Werft all eure Angst und Sorge auf ihn. Macht euch keine Sorgen darum, wie ihr die Menschen anlocken könnt. Seid sicher: Wenn ihr Jesus folgt, werden die Leute euch folgen".

(red)


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