Das Projekt "Apostelgeschichte 2010" hat begonnen, der Prolog ist sozusagen geschrieben. Ein Hauch von Apostelkonzil auf Wienerisch. Und wenn ich sehe, wie die Christen der Diözese sich auf den Weg machen, möchte ich mit den Augen des Heiligen Johannes sagen, der im Sichtbaren das Unsichtbare sieht, und das sind die Augen des Glaubens: "Es ist der Herr". Er ist hier mitten unter uns und Er wirkt. Wir haben viel gehört in diesen drei Tagen. "Sie erzählten alles, was Gott mit ihnen zusammen getan hatte" und "bereiteten damit allen große Freude" (vgl. Apg 15, 3-4). Wir haben viel gebetet. Wir sind voller Freude, neugierig gespannt und erwartungsvoll für die Zukunft, oder vielleicht müde oder enttäuscht. Jetzt sind wir alle zusammengekommen, um gemeinsam den Sendungsgottesdienst zu feiern und uns vom Herrn neu senden zu lassen.
Von Enttäuschung und vergebener Mühe zu neuen SendungDa ist zuerst Petrus: er geht fischen. Er kehrt zu seinem Alltag, zu seinem Metier zurück. Eigentlich hat er keinen Auftrag dazu. Die andern Jünger kommen mit und sie fangen nichts die ganze Nacht hindurch. Erfahrung der Erfolglosigkeit, der Vergeblichkeit. Und Jesus ist da am Ufer, aber sie erkennen ihn nicht. Die Frage Jesu an die Jünger im griechischen Urtext kann man so übersetzen: Ihr habt wohl keinen Fisch? Eine freche Frage Jesu. Und das zu Profis! Sie werfen das Netz nochmals aus auf das Wort Jesu hin und da wird ihnen der wunderbare Fischfang geschenkt. Sich senden lassen, das ist ein Wagnis. Die Netze nach den erfolglosen Nächten, der Erfahrung von Misserfolg und Vergeblichkeit neu auszuwerfen, fordert unseren Glauben heraus. Die Frage Jesu spricht durchaus in unsere Kirchenerfahrung hinein: "Ihr habt wohl keinen Fisch"? Viele würden da einhaken und sagen: "ja, der Kirche schwimmen die Fische davon". Die Perikope von Joh 21 führt zurück zur ersten Erfahrung mit Jesus, zur Zeit der ersten Liebe, zur ersten Sendung, und ist eine Prophetie der Mission der Kirche, vom Auferstandenen gegeben für alle Generationen: von Generation zu Generation wird sich der reiche Fischfang wiederholen, für den, der sich einlässt auf das Wort des Herrn. Wir wollen die Netze neu auswerfen im Blick des Glaubens auf den Auferstandenen Herrn, auf sein Wort, auf seinen Sendungsauftrag, den er uns anvertraut. Am Boden ist ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot. Das Kohlenfeuer erinnert an das andere Kohlenfeuer, wo Petrus im Hof des hohepriesterlichen Palastes stand und sich wärmte, und den Herrn drei Mal verleugnete. Von Kohlenfeuer zu Kohlenfeuer, vom Sünder zum Menschenfischer. An der Gestalt des Petrus zeigt uns der Herr: auch wenn wir versagt haben und Christus verleugnet, auch wenn wir vor dem Kreuz geflohen sind, er wartet auf uns und schenkt uns einen neuen Anfang, eine neue Liebe. Das ist die Grunderfahrung, die wir nach außen tragen dürfen, und die viele Fische fangen wird, exemplarisch am ersten Papst dargestellt. Die Erfahrung der Barmherzigkeit des Herrn ist der erste große Schatz, über den wir nicht schweigen können. Von dieser Erfahrung her gibt es Sendung und wunderbaren Fischfang.
Es ist der Herr. Der Jünger, den Jesus liebte, erkennt seine Gegenwart. Es braucht die Kontemplation, das wache Herz, das Beten und die Stille, um im Alltag, in den Geschehnissen den Auferstandenen zu erkennen, im Sichtbaren seine unsichtbare Gegenwart. Und es braucht auch den Blick dessen, der unter dem Kreuz stehen konnte. Weise Menschen sind oft Menschen die starke Lebensbrüche durchgemacht haben, viel gelitten haben, aber ohne das ihnen die Liebe abhanden gekommen ist. Die Jüngerschaft der Zukunft braucht dieses johanneische unter dem Kreuz stehen können, das Schauen auf den Durchbohrten und sein geöffnetes Herz, das Hören auf seinen Schrei "Mich dürstet", und die tiefste eigene Identität in der Liebe Jesu zu finden.
Ein Segen sein: Gutes denken, Gutes reden, Gutes tunFür unsere Sendung sehe ich ein massives Hindernis unter uns. Ich möchte es
hier aussprechen. Die lieblose Kritik aneinander, das zu rasche Verurteilen,
Lamentieren und Nörgeln. Wir zerkrachen uns so leicht. Die Liberalen reden
schlecht über die Konservativen und umgekehrt! Und dabei handelt es sich
nicht einmal um biblische Kategorien! Wie jemand einmal sagte: vor den
Liberalen musst du dich nicht in Acht nehmen, die wollen, das sich was tut
und verändert. Vor den Konservativen musst du dich auch nicht in Acht
nehmen, die wollen das Gute bewahren. Vor den Aggressiven musst du dich in
Acht nehmen und vor denen, die sagen, es macht eh alles keinen Sinn, es ist
alles "wurscht". Die geistliche Tradition kennt für diesen
Zustand ein Wort: die "acedia", diese Mischung von geistlicher
Lustlosigkeit, Aggression und Frust. Jemand mit zuviel Saures, zuviel Essig
im Salat. Das äußert sich, wenn wir schlecht übereinander sprechen. Wie viel
Härte gibt es hier unter uns! Fragen Sie sich: wen kann ich überhaupt nicht
leiden in der Kirche? Welcher Priester ist mir zuwider? Welcher Bischof zu
feig? Welche Gruppierung halt ich nicht aus? Wen haben wir schon
abgeschrieben? Hier braucht es viele Tränen der Reue, Umkehr, Buße und
Vergebung. Ich bitte Sie um eine konkrete Buße: dass Sie bis zur
nächsten Diözesanversammlung im März, wenn Sie über jene Gruppe sprechen,
die Ihnen am meisten auf den Geist geht, einmal nur gut über sie sprechen -
sich dafür interessieren, wo das Gute bei den "anderen" ist, es
sehen lernenn. Und vielleicht zu sagen: "Es ist der Herr". Er wirkt,
vielfältig und unterschiedlich, so unterschiedlich wie bei Johannes dem
Täufer und bei Jesus: "Johannes ist gekommen, er ißt nicht und trinkt nicht,
und sie sagen: Er ist von einem Dämon besessen. Der Menschensohn ist
gekommen, er ißt und trinkt; darauf sagen sie: Dieser Fresser und Säufer,
dieser Freund der Zöllner und Sünder! Und doch hat die Weisheit durch die
Taten, die sie bewirkt hat, recht bekommen" (Mt 11, 18-19). Und doch hat die
Weisheit durch alle ihre Kinder recht bekommen (Lk 7, 35). Sind Sie
dabei? Dann bitte ich Sie, jetzt kurz sich hinzuknien. Eigene Umkehr
und Mission sind untrennbar. Das größte Geschenk, das wir unserer Welt
anbieten können, ist unsere Einheit. Gerade unsere Einheit in der
Verschiedenheit ist das Zeugnis für die Gegenwart Christi unter uns. Ich
erreiche nur dann was beim anderen, wenn ich mich selbst verändere.
Übereinander Gutes denken, übereinander Gutes reden, einander Gutes tun: das
heißt füreinander zum Segen werden. Segnen ist ja "Eu-logia", "bene-dicere".
Und so wird das Fischernetz Petri, wie Madeleine Delbrel sagt, aus den
vielen Freundschaften geknüpft. Die Erfahrung der Freundschaft mit Jesus
macht uns auch freundschaftsfähig untereinander. Wir haben einen gemeinsamen
Freund und so wird Vertrauen möglich.
Mission: Das Gute im andern sehen und Gottes Gegenwart sichtbar machenDann können wir auch den vielen Menschen so begegnen. Mission hat ihren Sitz
im Leben, im wirklichen Leben. Im Hinhören auf den andern. Im Wertschätzen
des andern. Im Anerkennen des andern. Den guten Kern im anderen vermuten.
Das Wohlwollen. Der Mensch ist Abbild Gottes. Wir haben in der Nachfolge
Jesu den Auftrag, als Abbilder Gottes Gott sichtbar zu machen. Wir können
Gott nicht zu den Menschen bringen und brauchen das auch nicht. Denn Gott
ist bereits gegenwärtig im Leben eines jeden Menschen, und Er begleitet ihn
während seiner ganzen Lebensgeschichte hindurch. Unsere Aufgabe ist es, die
Gegenwart Gottes in unserer Welt zu enthüllen. Das griechische Wort für
Wahrheit heißt "aletheia", und das bedeutet Enthüllung, Entschleierung.
Durch uns soll Gott sichtbar werden. Das bedeutet eine besondere
Aufmerksamkeit für das Kleine, Verborgene, Schwache und Leidende. So wenig
man auf den ersten Blick Gott im Kind in der Krippe und am Kreuz von
Golgotha vermuten würde, genau so wenig sehen wir Ihn in allem, was dem Kind
und dem Leidenden gleicht. Wer behutsam die Menschen begleitet, der wird sie
auf die Gegenwart Gottes in ihrem Leben verweisen können. Denn Er ist
niemandem von uns fern. Es ist ein Hinhören auf die Lebensgeschichten,
auf die Größe und die Zerbrechlichkeit des Menschen. Und in diesem Hinhören,
in das wirkliche Leben hinein kann man dann das Kerygma sagen, ein Wort aus
dem Evangelium, ein Zeugnis, wie du mit Trauer fertig wirst, wie du hoffst,
wie du glaubst, wie du
liebst.
Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein,
damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern
habe (Klaus Hemmerle, 1929-1994, Bischof von Aachen). Und im Hinhören auf
eine Lebensgeschichte wie Johannes die Wachsamkeit zu haben und aufzuzeigen:
"Es ist der Herr". Gott ist schon da in deinem Leben! Es geht darum,
Entwicklungshelfer dieses Sehens zu sein. Wir dürfen von den Menschen größer
denken als sie selber. Einen verheißungsorientierten Umgang mit den Menschen
haben. Die Knospen in ihnen sehen. Die Menschen und die Welt sind die Kirche
"in spe". So wird Mission nicht aggressiv, sondern liebevoll.
2010 feiern wir den 100. Jahrestag der Geburt einer großen Missionarin der
Nächstenliebe: die selige Mutter Teresa von Calcutta. Sie pflegte zu
sagen: "Lasse nie zu, dass du jemandem begegnest, der nicht nach der
Begegnung mit dir glücklicher ist." Mutter Teresa schärfte ihren Schwestern
und Priestern immer wieder ein: "Unser Apostolat ist ein Apostolat des
Lächelns". Das Lächeln ist der erste Ausdruck der Liebe, der Zuwendung, des
Wohlwollens. Wie ist die Freude in meinem Leben gereift? Bin ich
freundlicher geworden, zu Fremden und Freunden? Mutter Teresa spricht sogar
vom Lächeln, das das eigene Leid vor dem anderen verbirgt. Jemand
sagte mir: "Viele Geistliche suchen nicht den Augenkontakt mit den Menschen,
geschweige denn, dass sie lächeln würden"! Es schmerzt, wenn man übersehen
wird. Das Lächeln ist das erste Zeichen der Liebe, ein internationaler Code:
Ich mag dich und bin dir wohlgesonnen. Es ist kein Wiener Privileg,
unfreundlich zu sein und nicht zu lächeln! Das Lächeln öffnet mich für den
andern.
Humor, einem Menschen das Evangelium weitergeben und Jesus folgenHumor statt Menschenfurcht und Angst, wegen des Glaubens kritisiert zu
werden. Ich denke an den Wiener Stadtpatron Klemens Maria Hofbauer. Er
sammelte Geld für seine Waisenkinder. Soviel zum Engagement für die
Caritas. Er klopfte beim reichen Bäcker an und bat um eine Spende. Der
spuckte ihm als Reaktion ins Gesicht und sagte: hier meine Gabe. Darauf
wischte sich Klemens Maria die Spucke vom Gesicht und sagte: gut, das war
jetzt für mich, und jetzt hätte ich gerne etwas für meine Waisenkinder.
Diese Antwort hat den Bäcker entwaffnet und er hat ihn zukünftig
unterstützt.
Ich denke auch an eine 75jährige Urwienerin, die mir diese Woche folgende
Geschichte erzählt hat: Sie machte Hausbesuche. Ein Mann öffnete ihr, und
als er hörte, dass sie von der Pfarre kam, brüllte er gleich los: "Ich hab
meiner Frau und meinem Kind verboten, in die Kirche zu gehen, die wollen
alle nur Geld". Sie sagte ganz ruhig: "Oh, Sie sind Choleriker". Zuerst war
er baff, dann brüllte er noch lauter. Als er fertig war, sagte sie:
"Entschuldigen Sie, das war nicht böse gemeint. Ich war 25 Jahre mit einem
Choleriker verheiratet. Wenn die Luft weg ist, sind das die liebsten
Menschen". Dagegen hatte er kein Argument. Sie besprach mit ihm das Problem
mit dem Kirchenbeitrag. Er war arbeitslos, sie ging für ihn auf die
Beitragsstelle und das Konto wurde auf null gestellt. Als sie ihm den
Bescheid brachte, sagte er noch: "Sie haben ja gesagt, i bin narrisch". Sie
widersprach ihm und meinte: "Na, des haben Sie jetzt gesagt". Da mussten sie
beide lachen. Das Schönste war dann für sie, bald darauf die ganze Familie
in der Kirche beim Sonntagsgottesdienst zu treffen.
Einen Menschen zu haben, an den man das Evangelium weitergibtLukas schreibt für Theophilus die Apostelgeschichtet. Haben Sie schon einen
Theophilus, dem Sie das Evangelium weitergeben? Das beginnt beim Einladen
zum Gottesdienst, zur Eucharistiefeier, zu jenem Kohlenfeuer, wo Jesus mit
Brot und Fisch auf uns wartet. Vergangenen Sonntag passierte Folgendes in
meiner Pfarre in Genf: Pamela ist ein 24-jähriges Mädchen, das vor
kurzen über Freundinnen zum Glauben an Jesus gefunden und sich jetzt
entschieden hat, sich auf die Taufe vorzubereiten. Sie steht ganz am Anfang.
Sie hat während der Woche einen jungen Mann aus England getroffen, der ihr
erzählt hat, wie sehr er mit Gott hadert, da er einen seiner besten Freunde
in einem tragischen Autounfall verloren hat. Seit sieben Jahren war er in
keiner Kirche mehr. Sie hat ihn einfach nur eingeladen, am folgenden Sonntag
mit ihr zum Gottesdienst zu kommen. Und er kam. Sie ist auch sehr fesch, das
hat sicher mitgespielt. Nach sieben Jahren sah er wieder eine Kirche von
innen. Er hat noch kein Halleluja gesungen. Er bleibt mit seinen ganzen
Fragen. Aber er spürte eine Kraft und eine Anwesenheit. Und er wird am
Allerseelentag wiederkommen zum Gottesdienst für die Verstorbenen. Pamela,
noch nicht getauft, ist schon eine Missionarin der Nächstenliebe. Das
Kohlenfeuer brennt, nicht spektakulär, aber es wärmt und darauf wird gute
Nahrung zubereitet.
Eine Seele gibt nur das weiter, wovon sie selbst übervoll ist. Tragen wir
Christus in unserem Herzen, und alles, was wir tun, wird Seine Gegenwart in
diese Welt ausstrahlen. Wenn wir Jesus folgen, werden uns die Leute folgen.
Das ist die Erfahrung aller Heiligen. Der große vietnamesische Kardinal
François Xavier Nguyen Van Thuan hat einmal gesagt: "In meinem langen und
bewegten Leben habe ich folgende Erfahrung gemacht: Wenn ich Jesus treu
folge, Schritt für Schritt, dann führt Er mich zum Ziel. Ihr werdet auf
unvorhersehbaren, bisweilen gewundenen, dunklen, dramatischen Pfaden gehen,
aber seid zuversichtlich: Ihr seid bei Jesus! Werft all eure Angst und Sorge
auf ihn. Macht euch keine Sorgen darum, wie ihr die Menschen anlocken könnt.
Seid sicher: Wenn ihr Jesus folgt, werden die Leute euch folgen".
(red)
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