Kanzelwort zum 26. Oktober 2008
© Rupprecht@kathbild.atWortlaut des Kanzelwortes von Kardinal Christoph Schönborn zum Prozess "Apostelgeschichte 2010", das am Sonntag, 26. Oktober 2008, in allen Kirchen der Erzdiözese Wien verlesen wird.

Liebe Schwestern und Brüder!

"Unmöglich können wir schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben" (Apg 4,20).

Als man den Aposteln verbieten wollte, noch weiter von Jesus zu sprechen, gaben sie diese Antwort. Das war damals, "in jener Zeit", am Anfang der Kirche, nach Pfingsten. Sie ließen sich nicht hindern, von dem zu sprechen, was sie mit Jesus erlebt hatten. Und so geschah Mission. Keine staatliche Macht half dabei. Kein gesellschaftlicher Druck drängte dazu, Christ zu werden. Oft war das Gegenteil der Fall. Unverständnis, Widerspruch, ja Feindschaft und Verfolgung begegneten dem Christentum. Aber auch Neugierde, Sinnsuche und eine tiefe Sehnsucht nach dem unbekannten Gott. Und so verbreitete sich der Glaube an Jesus Christus durch das persönliche Zeugnis und durch das Wirken des Heiligen Geistes, der Herzen und Türen für das Evangelium öffnete.

Heute stehen wir wieder in einer ähnlichen Situation: viel Gegenwind, Unverständnis, Ablehnung, aber auch viel Sehnsucht und Suche, oft nicht bei der Kirche, sondern bei zweifelhaften Quellen. Sicher ist: Wir sind neu gefordert, durch persönliches Zeugnis Menschen für Christus zu gewinnen.

Manche persönliche und gemeinsame Erfahrungen der letzten Jahre haben viele von uns ermutigt, den Weg der Mission bei uns neu zu entdecken. Da war die große Wiener Stadtmission, da gab es Kontaktwochen in mehreren Dekanaten. Der Weinviertler Pilger- und Glaubensweg wächst und bringt Frucht. Initiativen wie die Lange Nacht der Kirchen oder die Valentinsaktion breiten sich sogar über unsere Diözesangrenzen hinweg aus.

Mit dem Prozess "Apostelgeschichte 2010" lade ich Sie alle ein, diesen begonnenen Weg gemeinsam diözesanweit zu gehen. Mein ausführlicher Hirtenbrief, der in den Pfarren aufliegt und auf www.stephanscom.at allen zugänglich ist, stellt das Anliegen, um das es mir geht, im Einzelnen dar. Ich darf ihn herzlich Ihrer Lektüre empfehlen. "Der Sonntag" wird in einer Serie umfassend darüber berichten.

Die Leitfrage für den Prozess "Apostelgeschichte 2010", die ich mir und uns allen stelle, lautet: Was ist es also, worüber wir heute unmöglich schweigen können? Wenn ich darauf im Blick auf meine eigene Lebenserfahrung antworten darf, dann so, wie ich es auch in meinem Bischofsmotto ausdrücke: "Euch aber habe ich Freunde genannt" (Joh 15,15). Wenn es eine Erfahrung gibt, die ich als die "Grundmelodie" in meinem Leben betrachten darf, so ist es diese Freundschaft. Sie ist der rote Faden durch alle Phasen meines Lebens. Jesus lädt uns ein zur Freundschaft. Und wir dürfen in diese Freundschaft hineinwachsen. Darüber kann ich nicht schweigen. Ich habe diese Freundschaft als den großen Schatz in meinem Leben entdeckt. Sie ist mir Trost und Freude. Sie hilft mir, mich selber anzunehmen, sie lädt mich ein, andere mit dem Blick der Freundschaft Jesu zu sehen. Sie prägt, so hoffe ich, meine Art, die Menschen und die Situationen zu sehen. Und sie weckt in mir immer neu den Wunsch, anderen von dieser Freundschaft zu erzählen. Mission ist für mich darum immer die Einladung, das Glück dieser Freundschaft kennen zu lernen.

Freundschaft mit Jesus, das heißt zum einen: Zeit für die Begegnung, das hinhörende Stillsein in Seiner Gegenwart, bevorzugt in Seiner eucharistischen Gegenwart im Tabernakel. Freundschaft mit Jesus, das heißt zum anderen: eine wache Aufmerksamkeit für die, mit denen Er sich besonders identifiziert - die Armen, die Kranken, die Fremden, die Gefangenen, die Ausgestoßenen, die Sünder,…

Freundschaft mit Jesus, das heißt schließlich: Mit Seinen Augen sehen lernen, mit Seinen Gedanken vertraut werden, Seinen Willen suchen und zu tun versuchen. Und vor allem: mit Seinem Herzen verbunden sein.

In den letzten Jahren ist mir eines immer mehr zur Gewissheit geworden: Mit Jesus verbunden sein, in Seiner Freundschaft leben, das heißt vor allem barmherzig werden, wie Er es ist. Auch wenn es mir oft nicht gelingt, es zu sagen, und vor allem: es zu leben. Aber eines weiß ich sicher: Ich habe die Barmherzigkeit Jesu erfahren, und ich wünsche mir, dass andere, alle, das auch erfahren.

Die Freundschaft Jesu und Seine Barmherzigkeit: Das ist für mich die Mitte meines Lebens und meines Hirtendienstes. Mit dem Prozess "Apostelgeschichte 2010" will ich mit Ihnen diesen Weg der Freundschaft neu entdecken.

Mit großer Dankbarkeit blicke ich auf die dreizehn Jahre, in denen ich als Bischof der Erzdiözese Wien mit Euch auf dem Weg sein darf. Ich bin immer wieder davon berührt, wie sehr diese Stadt und dieses Land vom Christentum, vom persönlichen Engagement so vieler Menschen geprägt sind. Ein feinmaschiges Netz an Gottes- und Nächstenliebe ist quer über die ganze Erzdiözese gespannt! – Weil Christinnen und Christen aufmerksam sehen, was zu tun ist, wo Not ist, und tatkräftig zupacken.

Die Sozialaktion "72 Stunden ohne Kompromiss" der Katholischen Jugend lässt uns das auch heuer im Oktober wieder eindrucksvoll erleben. Schmerzlich erleben wir aber auch, wie vieles an christlichem Lebensverständnis heute in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt wird. Wie wir nicht mehr gefragt werden, wie unsere Stimme leise geworden ist unter all den Stimmen, die heute vielfach den Ton angeben.

Wir stehen inmitten großer Herausforderungen. Nicht nur der gesellschaftliche Wandel und die bedrohliche finanzielle und wirtschaftliche Krise drängen uns, innezuhalten und manches zu überdenken. Was uns wirklich herausfordert, ist die Sendung Jesu selber, an der wir ja durch Taufe und Firmung Anteil haben, die Jesus durch uns leben und verwirklichen will: "Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe." (Lk 4,18f)

Jesu Sendung – unser Auftrag! Bei der Größe dieser Aufgabe und der Armseligkeit unserer Mittel und Kräfte kommt mir die Situation der Apostel bei der Speisung der Fünftausend in den Sinn: "Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische" (Mt 14,13-21).

"Was ist das für so viele?" (Joh 6,9). Wir hätten gerne mehr in der Hand. Wir erleben heute schmerzlich unsere Armut, unsere (fast) leeren Hände. Wie damals gilt auch heute: Geben wir das wenige, was wir haben, Christus in die Hände. Er kann daraus viel machen! Es ist ja Seine Kirche, und Er hat versprochen, bei uns zu sein alle Tage (vgl. Mt 28,20).

Drei Hinweise zum Schluss auf den Prozess "Apostelgeschichte 2010", drei Bitten an Sie alle:

  1. Eine herzliche Einladung zur Diözesanwallfahrt nach Rom vom 30. April bis 4. Mai 2009 "auf den Spuren des Apostel Paulus", um in die Fußstapfen des großen Missionars zu treten. [Beim Verlesen bitte hinweisen auf die pfarrlichen Anmeldemöglichkeiten oder auf  ww.stephanscom.at!]
  2. Es sind drei große Diözesanversammlungen geplant, die Einladungen dazu werden bald folgen. Die vorbereitenden Impulse und Fragen habe ich für alle im Hirtenbrief dargelegt, mit der Bitte um eine intensive Auseinandersetzung damit. Es wird uns sehr helfen, gemeinsam auf das zu hören, "was der Geist den Gemeinden sagen will" (vgl. Offb 3,6). Wir brauchen den Austausch an Erfahrungen und Ideen, wie wir heute altbewährte und neue Wege der Verkündigung gehen.
  3. Allem voran ist das Gebet gefragt, wie sich die Kirche des Anfangs "einmütig im Obergemach" traf, um den Heiligen Geist, die Kraft von oben zu empfangen, die Apostel, "zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern" (Apg 1,13f).

Schließlich lade ich Sie alle herzlich ein, sich das folgende Gebet zu Eigen zu machen, das es auch auf "Gebetskärtchen" gibt, und das uns mit der vorpfingstlichen, betenden Urkirche verbindet:

Herr Jesus Christus, du bietest uns deine Freundschaft an.
Durch deine Gegenwart schenkst du uns Freude in Fülle
und gibst uns Hoffnung.
Du hast uns durch die Taufe in deine Gemeinschaft gerufen.
Wir sind bereit deine Zeugen in unserer Welt zu sein.
Im Vertrauen auf deine Liebe und Barmherzigkeit
lassen wir uns senden.
Stärke uns mit deinem Heiligen Geist!
Lass dein Licht durch uns leuchten,
damit wir als wahrhaft Liebende Licht der Welt sein können
und so zum Segen für unsere Mitmenschen werden. Amen.
Mit Euch in Christus verbunden
erbitte ich den Segen Gottes,
 

+ Christoph Kardinal Schönborn
Erzbischof von Wien

Wien, am 1. Oktober 2008, dem Fest der Hl. Therese von Lisieux.

Hirtenbrief zur Apostelgeschichte 2010 als PDF

(red)


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