Wie können wir Christus weiter geben?
© APG 2010Beitrag zur heutigen Debatte über die Methoden der Mission

Ein gängiges Modell von Mission ist: „Wir geben christliche Werte an andere weiter. Wir reden nicht zu viel über Christus und seine Kirche. Das wird heute nicht so gut aufgenommen. Wir reden über Werte. Entweder über Werte, die oft gut angenommen werden (das ist Thema vor allem für die sogenannten „Progressiven“) oder über Werte, die sich eher polemisch gegen den Mainstream profilieren (das ist Thema vor allem für die sogenannten „Konservativen“)“.

Beim diesjährigen deutschen evangelischen Kirchentag hat Prof. Daniele Garrone in der Predigt beim Abschlussgottesdienst gesagt: „Unsere christliche Stimme darf nie ein moralistisches Belehren sein – denkt nur an die magischen Stichworte ‚Werte‘ und ‚Wertorientierung‘! Doch ich fürchte: Die Ethik ist das Gebiet geworden, in dem wir auf Aufmerksamkeit hoffen, weil wir nicht Hoffnung genug haben, solche Aufmerksamkeit für das Evangelium selbst zu erwarten. Die Protestanten neigen hier mehr zur sozialen Ethik, die Evangelikalen zur sexuellen, die Katholiken gleich tüchtig zu beidem“.

Wir können nicht von den anderen verlangen, dass sie mit unseren Überlegungen übereinstimmen, ohne den Weg des Glaubens zu leben, den wir gehen. Jesus hat es klar gesagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). Wenn der Glaube, durch den wir alles einheitlich beurteilen können, fehlt, dann nimmt man isolierte Werte wahr. Je nach Sensibilität, nimmt man entweder die sozialen Werte wahr, die, die mit der Gerechtigkeit zu tun haben, oder die Werte, die sich auf Familie und Lebensschutz beziehen, die, die mit der sogenannten Theologie des Leibes zu tun haben. Jede Gruppe betont einen Aspekt und fühlt sich nicht von den anderen vertreten. Jeder zieht an einem Ende des Seils. Und das spaltet uns.

Christliche Werte können aber nicht losgelöst von ihrem Ursprung vermittelt werden. Romano Guardini schreibt in seinem Buch „Das Ende der Neuzeit“: „Die Neuzeitliche Kultur behauptet, auf individuelle und soziale Werte zu rühren. (…) In Wahrheit  sind diese Werte an die Offenbarung gebunden. Durch die Offenbarung werden im Menschen Kräfte frei, die an sich „natürlich“ sind, sich aber außerhalb dieses Zusammenhanges nicht entwickeln würden. Werte treten ins Bewusstsein, die an sich evident sind, aber nur unter jener Überwölbung sichtbar werden.  Die Meinung, diese Werte gehörten einfachhin der sich entwickelnden  Natur an, verkennt einfach den wirklichen Sinnverhalt und führt zu einer Unredlichkeit, die zum Bilde der Neuzeit gehört.“ (S 103)

„Die neuzeitliche Unredlichkeit ist jenes Doppelspiel, welches auf der einen Seite die christliche Lehre und Lebensordnung ablehnte, auf der anderen aber deren menschlich-kulturelle Wirkungen für sich in Anspruch nahm. Das machte den Christen in seinem Verhältnis zur Neuzeit unsicher. Überall fand er in ihr Ideen und Werte, deren christliche Herkunft deutlich war, die aber für allgemeines Eigentum erklärt wurden. Überall stieß er auf Christlich-Eigenes, das aber gegen ihn gekehrt wurde. (S. 112)

Es gibt aber ein anderes Missionsmodell: die Begegnung von Person zu Person. Nehmen wir zunächst einige berühmte Sätze Jesu: „Kommt und seht.“ (Joh 1,39) Kardinal Schönborn hat in seinem Hirtenbrief über die Apostelgeschichte im Jahr 2010 Folgendes geschrieben:„Jesus lädt uns ein zur Freundschaft. Er macht uns zu Seinen Freunden. Und wir dürfen in diese Freundschaft hineinwachsen.(…) „Mission“ ist für mich kein abstraktes Wort. Mission ist für mich die Einladung, das Glück dieser Freundschaft kennenzulernen“.

Was bedeutet diese Einladung Jesu, zu kommen und zu sehen? Jesus redet noch deutlicher: „Folge mir nach.“ (Joh 21,23) Das ist die Methode Gottes: Er ist Mensch geworden, um uns zu helfen, alles zu verstehen. Er hat nicht so sehr eine Weltanschauung mit einer anderen konfrontiert. Er ist viel mehr Menschen begegnet und hat sie dazu eingeladen, sich zu ihm zu gesellen. Er hat nicht bloß Werte vermittelt, sondern Er hat sich selbst angeboten.

Das geht auch nach dem irdischen Leben Jesu weiter. Paulus ist nicht einer Theorie, sondern einer Person begegnet. Eine Person, die eine ganz konkrete Frage gestellt hat: „Warum verfolgst du mich?“ Auch heute können wir eine Begegnung mit anderen Menschen, die nicht glauben, oder deren Glauben vage ist, suchen. Und auch wir können die Frage im Namen Jesu oder im Namen seiner Fortsetzung, der Kirche, stellen: „Warum hast du etwas gegen mich?“ Jesus bietet sich auch heute durch eine Gemeinschaft, durch seine Kirche, an. Jesus ist heute ohne seine Gemeinschaft, Familie, Kirche, nicht zu haben.

Die Begegnung mit Christus hat eine große Tragweite. In deren Folge wird sich auch die eigene Weltanschauung ändern. Erst eine Glaubensbegegnung ermöglicht es, Werte zu entdecken. Es ist nicht zuerst eine Theorie, eine Entwicklung der Gedanken und dann ein Ereignis, eine Begegnung, die diese neue Weltanschauung ernährt. Zuerst kommt das Zeugnis einer anderen Person, ein Ereignis. Papst Paul VI. hat gesagt: „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind“ (Evangelii nuntiandi 41). Und Jesus selbst sagt den Aposteln: „Ihr seid Zeugen dafür“ (Lk 24,48).

 

Papst Benedikt XVI. hat mit diesem Anliegen seine erste Enzyklika begonnen: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt“ (Benedikt XVI., Deus caritas est, N. 1). Auch zu uns in Mariazell hat er klar gesagt:   „Das Christentum ist mehr und etwas anderes als ein Moralsystem, als eine Serie von Forderungen und von Gesetzen. Es ist das Geschenk einer Freundschaft“ (Benedikt XVI, Mariazell 8. Sept 2007)

Ich schließe mit einem einfachen Beispiel, das ich von einem Vorreiter der Mission unter den Jugendlichen in der Erzdiözese Wien nehme: Karl Strobl, der vor 25 Jahren gestorben ist. Er hat immer über das Prinzip Gemeinde gesprochen. Ich werde ihn nicht zitieren, sondern eine aktuelle pastorale Tätigkeit, die letztendlich sein Erbe unter uns ist, kurz vorstellen: Rund fünfzig Studenten entscheiden sich heuer, 2009, in vier Wohngemeinschaften der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) zusammen zu leben. In einer von Individualismus und virtuellen Freundschaften à la ‚Facebook‘ geprägten Welt teilen sie das ganz konkrete Leben und den Glauben miteinander. Fixpunkte im WG-Leben sind das tägliche Morgenlob (Laudes) und ein wöchentliches Abendessen gemeinsam mit einem der Studentenseelsorger. Freundschaften entstehen, und die Studenten erfahren Christus in ihrer Mitte (Mt 18,20). Im Zusammenleben erleben sie Kirche nicht bloß als Idee oder Projekt, sondern als echte Gemeinschaft mit Christus und untereinander. Sie stehen in lebendiger Beziehung zu ihrer „Pfarre“ - der KHG - und sind eine tragende Säule in der Hochschulgemeinde. Als Christen sind sie auch an ihren Fakultäten und in ihrem studentischen Umfeld präsent.

 

Josef Clavería, Herbst 2009

(red)


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