Ein gängiges
Modell von Mission ist: „Wir geben christliche Werte an andere weiter. Wir
reden nicht zu viel über Christus und seine Kirche. Das wird heute nicht so
gut aufgenommen. Wir reden über Werte. Entweder über Werte, die oft gut
angenommen werden (das ist Thema vor allem für die sogenannten
„Progressiven“) oder über Werte, die sich eher polemisch gegen den
Mainstream profilieren (das ist Thema vor allem für die sogenannten
„Konservativen“)“.
Beim diesjährigen deutschen
evangelischen Kirchentag hat Prof. Daniele Garrone in der Predigt beim
Abschlussgottesdienst gesagt: „Unsere christliche Stimme darf
nie ein moralistisches Belehren sein – denkt nur an die magischen Stichworte
‚Werte‘ und ‚Wertorientierung‘! Doch ich fürchte: Die Ethik ist das Gebiet
geworden, in dem wir auf Aufmerksamkeit hoffen, weil wir nicht Hoffnung
genug haben, solche Aufmerksamkeit für das Evangelium selbst zu erwarten.
Die Protestanten neigen hier mehr zur sozialen Ethik, die Evangelikalen zur
sexuellen, die Katholiken gleich tüchtig zu beidem“.
Wir können nicht von
den anderen verlangen, dass sie mit unseren Überlegungen übereinstimmen,
ohne den Weg des Glaubens zu leben, den wir gehen. Jesus hat es klar gesagt:
„Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). Wenn der Glaube, durch den wir
alles einheitlich beurteilen können, fehlt, dann nimmt man isolierte Werte
wahr. Je nach Sensibilität, nimmt man entweder die sozialen Werte wahr, die,
die mit der Gerechtigkeit zu tun haben, oder die Werte, die sich auf Familie
und Lebensschutz beziehen, die, die mit der sogenannten Theologie des Leibes
zu tun haben. Jede Gruppe betont einen Aspekt und fühlt sich nicht von den
anderen vertreten. Jeder zieht an einem Ende des Seils. Und das spaltet
uns.
Christliche Werte
können aber nicht losgelöst von ihrem Ursprung vermittelt werden. Romano
Guardini schreibt in seinem Buch „Das Ende der Neuzeit“: „Die Neuzeitliche
Kultur behauptet, auf individuelle und soziale Werte zu rühren. (…) In
Wahrheit sind diese Werte an die Offenbarung
gebunden. Durch die Offenbarung werden im Menschen Kräfte frei, die an sich
„natürlich“ sind, sich aber außerhalb dieses Zusammenhanges nicht entwickeln
würden. Werte treten ins Bewusstsein, die an sich evident sind, aber nur
unter jener Überwölbung sichtbar werden. Die
Meinung, diese Werte gehörten einfachhin der sich entwickelnden Natur an, verkennt einfach den wirklichen Sinnverhalt
und führt zu einer Unredlichkeit, die zum Bilde der Neuzeit gehört.“ (S
103)
„Die neuzeitliche
Unredlichkeit ist jenes Doppelspiel, welches auf der einen Seite die
christliche Lehre und Lebensordnung ablehnte, auf der anderen aber deren
menschlich-kulturelle Wirkungen für sich in Anspruch nahm. Das machte den
Christen in seinem Verhältnis zur Neuzeit unsicher. Überall fand er in ihr
Ideen und Werte, deren christliche Herkunft deutlich war, die aber für
allgemeines Eigentum erklärt wurden. Überall stieß er auf
Christlich-Eigenes, das aber gegen ihn gekehrt wurde. (S. 112)
Es gibt aber ein
anderes Missionsmodell: die Begegnung von Person zu Person. Nehmen wir
zunächst einige berühmte Sätze Jesu: „Kommt und seht.“ (Joh 1,39) Kardinal
Schönborn hat in seinem Hirtenbrief über die Apostelgeschichte im
Jahr 2010
Folgendes geschrieben:„Jesus
lädt uns ein zur Freundschaft. Er macht uns zu Seinen Freunden. Und wir
dürfen in diese Freundschaft hineinwachsen.(…) „Mission“ ist für mich kein
abstraktes Wort. Mission ist für mich die Einladung, das Glück dieser
Freundschaft kennenzulernen“.
Was
bedeutet diese Einladung Jesu, zu kommen und zu sehen? Jesus redet noch
deutlicher: „Folge mir nach.“ (Joh 21,23) Das ist die Methode Gottes: Er ist Mensch
geworden, um uns zu helfen, alles zu verstehen. Er hat nicht so sehr eine
Weltanschauung mit einer anderen konfrontiert. Er ist viel mehr Menschen
begegnet und hat sie dazu eingeladen, sich zu ihm zu gesellen. Er hat nicht
bloß Werte vermittelt, sondern Er hat sich selbst angeboten.
Das geht auch nach dem
irdischen Leben Jesu weiter. Paulus ist nicht einer Theorie, sondern einer
Person begegnet. Eine Person, die eine ganz konkrete Frage gestellt hat:
„Warum verfolgst du mich?“ Auch heute können wir eine Begegnung mit anderen
Menschen, die nicht glauben, oder deren Glauben vage ist, suchen. Und auch
wir können die Frage im Namen Jesu oder im Namen seiner Fortsetzung, der
Kirche, stellen: „Warum hast du etwas gegen mich?“ Jesus bietet sich auch
heute durch eine Gemeinschaft, durch seine Kirche, an. Jesus ist heute ohne
seine Gemeinschaft, Familie, Kirche, nicht zu haben.
Die Begegnung
mit Christus hat eine große Tragweite. In deren Folge wird sich auch die
eigene Weltanschauung ändern. Erst eine Glaubensbegegnung ermöglicht es,
Werte zu entdecken. Es ist nicht zuerst eine Theorie, eine Entwicklung der
Gedanken und dann ein Ereignis, eine Begegnung, die diese neue
Weltanschauung ernährt. Zuerst kommt das Zeugnis einer anderen Person, ein
Ereignis. Papst Paul VI. hat gesagt: „Der heutige Mensch hört lieber
auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb,
weil sie Zeugen sind“ (Evangelii nuntiandi 41). Und Jesus selbst sagt den Aposteln:
„Ihr seid Zeugen dafür“ (Lk 24,48).
Papst Benedikt XVI. hat mit
diesem Anliegen seine erste Enzyklika begonnen: „Am Anfang des Christseins
steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die
Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen
neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt“ (Benedikt XVI.,
Deus caritas est, N. 1). Auch zu uns in Mariazell hat er klar gesagt:
„Das Christentum ist mehr und
etwas anderes als ein Moralsystem, als eine Serie von Forderungen und von
Gesetzen. Es ist das Geschenk einer Freundschaft“ (Benedikt XVI, Mariazell
8. Sept 2007)
Ich schließe mit einem einfachen
Beispiel, das ich von einem Vorreiter der Mission unter den Jugendlichen in
der Erzdiözese Wien nehme: Karl Strobl, der vor 25 Jahren gestorben ist. Er
hat immer über das Prinzip Gemeinde gesprochen. Ich werde ihn nicht
zitieren, sondern eine aktuelle pastorale Tätigkeit, die letztendlich sein
Erbe unter uns ist, kurz vorstellen: Rund fünfzig Studenten
entscheiden sich heuer, 2009, in vier Wohngemeinschaften der Katholischen
Hochschulgemeinde (KHG) zusammen zu leben. In einer von Individualismus und
virtuellen Freundschaften à la ‚Facebook‘ geprägten Welt teilen sie das ganz
konkrete Leben und den Glauben miteinander. Fixpunkte im WG-Leben sind das
tägliche Morgenlob (Laudes) und ein wöchentliches Abendessen gemeinsam mit
einem der Studentenseelsorger. Freundschaften entstehen, und die Studenten
erfahren Christus in ihrer Mitte (Mt 18,20). Im Zusammenleben erleben sie
Kirche nicht bloß als Idee oder Projekt, sondern als echte Gemeinschaft mit
Christus und untereinander. Sie stehen in lebendiger Beziehung zu ihrer
„Pfarre“ - der KHG - und sind eine tragende Säule in der Hochschulgemeinde.
Als Christen sind sie auch an ihren Fakultäten und in ihrem studentischen
Umfeld präsent.
Josef Clavería, Herbst
2009
(red)
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