Ev: Mk 6,34-44
Gelobt sei Jesus Christus!
Verehrter lieber hochwürdigster apostolischer Nuntius, liebe Mitbrüder im
priesterlichen, diakonalen Dienst, liebe Seminaristen, Ordenschristen,
Schwestern und Brüder, Vertreter des öffentlichen Lebens, der Universität,
des Militärs, der farbtragenden Studenten, der Studentenschaft, liebe
Kinder, liebe Brüder und Schwestern!
"Unmöglich können wir schweigen, über das was wir gesehen und gehört
haben" (Apg 4,20). Mit diesen Worten haben die beiden Apostel, Johannes und
Petrus vor dem Hohen Rat erklärt, warum sie nicht bereit sind, den Namen
Jesu zu verschweigen, wie man es ihnen befohlen hatte. Sie sollten den Namen
Jesu nicht mehr nennen dürfen. Man droht ihnen mit Strafe, Verfolgung,
Verurteilung, ja mit dem Tod. Doch sie können unmöglich schweigen über das,
was sie gesehen und gehört haben. Was sie haben nicht eine Theorie, nicht
irgendeine Lehre, gesehen und gehört, sondern jemanden: Jesus. Sie haben ihn
kennen, lieben gelernt. Sie haben ihn erlebt. Sie können nicht schweigen
über ihn, so ist es durch die Jahrhunderte geblieben.
In den ersten drei Jahrhunderten hat sich das Christentum, durch römische
Soldaten, durch Händler, Kaufleute, durch Menschen die im römischen Reich
auch bis an die Grenzen gekommen sind, verbreitet. Es ist auch bis zu uns
gekommen. Wenn man bedenkt, dass das ohne Macht, ohne politische
Unterstützung, ja im Gegenteil, meistens sogar unter Verfolgung, Ablehnung
und Widerstand geschehen ist, dann ist eines klar: Nur durch das persönliche
Zeugnis konnte sich das Christentum verbreiten. So war es zumindest, bis
Kaiser Konstantin gemerkt hat, dass diese Christen, die man bisher verfolgt
hat, eine Kraft im Reich sind, auf die man sich stützen kann. So kam es dann
unter seinen Nachfolgern dazu, dass das Christentum die Staatsreligion
wurde. Damit begann die große Zeit der Christenheit, die viele Jahrhunderte
dauern sollte. Viele Völker, Stämme, ganze Reiche ließen sich taufen, wurden
christlich. Und mit ihrer Hilfe verbreitete sich das Christentum unter den
Völkern Europas und im zweiten Jahrtausend in der ganzen Welt, freilich auch
mit wirtschaftlicher, militärischer, politischer Macht und dementsprechenden
Druck.
Heute, am Beginn der dritten Jahrtausends, sind wir wieder in einer
ähnlichen Situation wie in den ersten Jahrhunderten, wenn auch mit dem
Unterschied einer zweitausendjährigen Geschichte des christlichen Glaubens.
Wieder tritt das persönliche Zeugnis in den Vordergrund. Es ist nicht der
Kaiser und auch nicht die Republik, die die Religion verbreitet. Sie wird in
unserem Land toleriert und hat einen guten gesetzlichen Rahmen. Die
Religionsfreiheit ist ein kostbares Gut. Und dennoch ist heute wieder neu
und in ganz entschiedener Weise das Zeugnis notwendig.
So richtet sich an uns alle die Frage, was es denn ist, worüber wir
unmöglich schweigen können. Was haben wir gesehen, und erfahren über das wir
Zeugnis geben müssen? Ist es die Kirchenkritik? Sicher gibt es in der
Geschichte und bis heute viele Gründe, auch mit der Kirche, das heißt mit
uns Christen, unzufrieden zu sein, auf uns mit dem Finger zu zeigen, die
Kirche zu kritisieren. Worüber können wir nicht schweigen? Auch heute kann
die Antwort nur die sein, die die beiden Apostel damals kurz nach Pfingsten
in Jerusalem gegeben haben: Wir können unmöglich schweigen über den, den wir
kennen, lieben gelernt haben, über seine Freundschaft, über die Gemeinschaft
mit ihm, was er uns bedeutet, was wir ihm verdanken. Wenn ich auf mein
eigenes Leben schaue, muss ich sagen: Der einzig wirklich tragende Grund,
warum ich Christ sein möchte, ist um Christi willen. Seine Freundschaft ist
die Grundmelodie meines Lebens, das tragende Fundament, meine Freude. Es
gibt eigentlich keine andere Traurigkeit, als die, dass Dinge geschehen, die
diese Freundschaft trüben.
Apostelgeschichte 2010, unter diesem Namen habe ich unsere ganze Diözese
eingeladen, einen missionarischen Weg, einen Weg des Zeugnisses zu gehen, so
wie ihn die Apostelgeschichte für die Anfangszeit der Kirche festgehalten
hat. Sie sind von Stadt zu Stadt, von Land zu Land gegangen und haben
Christus bezeugt. Zu nichts anderen, als zur Erfahrung des Glücks dieser
Freundschaft mit dem auferstandenen, gegenwärtigen Herrn, ihn kennen zu
lernen, dazu wollen wir einladen. Oft sage ich zu Ausgetretenen: Wenn ich
Ihnen doch nur vermitteln könnte, was es für ein Glück ist Christ zu sein.
Ich weiß, wenn sie diese Erfahrung nicht gemacht haben, dann ist es schwer
daran zu glauben, aber ich kann es ihnen bezeugen.
Letztlich ist es das, was wir eben im Evangelium gehört haben: Als Jesus
die vielen, vielen Menschen sah, war er bis ins Innerste ergriffen von
Mitleid (Mk 6,34). Das hebräische Wort, das dahinter steht, bedeutet ein
Ergriffensein bis in die Eingeweide. Die rachamin, das "Innerste",
das ist auch das Wort für den "Mutterschoß". Jesu Barmherzigkeit, Jesu
Leidenschaft für die Menschen, besonders für die, wie es heute im Evangelium
heißt, von denen er den Eindruck hatte, sie sind "wie Schafe ohne Hirten".
Das bedeutet, sie sind orientierungslos, haben im Leben nicht diesen
wunderbaren Halt, den der Glaube gibt. Jesus ist ergriffen vom Mitleid mit
den Menschen, nicht von oben herab, sondern aus dem innersten Herzen. Dieses
Mitleid, diesen Blick, diese Sichtweise, das Herz Jesu ist es, worauf es
ankommt.
Aber, Brüder und Schwestern, da ist noch einen andere Erfahrung, von der
wir eben im Evangelium gehört haben: Woher sollen wir Brot für so viele
nehmen? Fünf Brote und zwei Fische, was ist das für 5000 Menschen, es reicht
ja kaum für uns? Und so ist das Gefühl vieler Christen in unserem Land. Wie
sollen wir kleine Schar so vielen das Evangelium bringen, wie sollen wir das
schaffen? Das schaffen wir alleine nicht, es ist einfach zu viel von uns
verlangt, wenn Jesus sagt: "Gebt ihr ihnen zu essen!" (Mk 6,37). Das ist
scheinbar eine Überforderung. In Österreich hat die Kirche in den letzten
Jahren manche Demütigung erlebt. Sehr viele haben sie verlassen, sich
abgewendet, enttäuscht, oder was fast noch schmerzlicher ist,
desinteressiert. Die Kirche war und ist gedemütigt, für viele lächerlich,
eine Randerscheinung, einfach uninteressant. Das Leben spielt sich anders wo
ab. Es spielt nicht unsere Melodie.
Brüder und Schwestern, heute im Angesicht Jesus, in seiner Gegenwart lade
ich sie ein: Sagen wir ja zu dieser Armut. Sagen wir ja auch zu unserer
nicht so glorreichen Situation als Katholiken in unserem Land. Aber sagen
wir es beherzt, denn Jesus erwartet von uns, dass wir seine Haltung, seine
Leidenschaft für die Menschen im Herzen tragen, damit wir ihnen etwas von
dem weitergeben, was nur er geben kann: Den Sinn des Lebens, die Freude am
Leben, das Ziel des Lebens. Sind wir bereit, Herr dir alles in die Hände zu
legen: Unsere paar Brote und Fische, das wenige das wir haben? Sind wir
bereit, alles in deine Hände zu legen, damit du aus dem wenigen genügend für
alle machen kannst? Hier in deiner Gegenwart im Sakrament sagen wir dir,
Herr, unsere Bereitschaft, von dir und von der Freundschaft mit dir Zeugnis
zu geben durch Worte, und noch mehr durch unseren Blick, unser Verhalten,
unser Tun und Denken. So lege ich am Schluss allen das Gebet für
Apostelgeschichte 2010 ans Herz. Beten wir es jetzt und in den nächsten
Monaten für den großen Missionsweg in unserer Diözese:
Herr Jesus Christus, du bietest uns deine Freundschaft an. Durch deine
Gegenwart schenkst du uns Freude in Fülle, und gibst uns Hoffnung, du hast
uns durch die Taufe in deine Gemeinschaft gerufen. Wir sind bereit deine
Zeugen in unserer Welt zu sein. Im Vertrauen auf deine Liebe und
Barmherzigkeit lassen wir uns senden. Stärke uns mit deinem Hl. Geist. Lass
dein Licht durch uns leuchten, damit wir als wahrhaft Liebende, Licht der
Welt sein können und so zum Segen für unsere Mitmenschen werden. Amen.
+ Christoph Kardinal Schönborn
Erzbischof von Wien
(red)
|