Predigt zu Fronleichnam 2009
© Rupprecht@kathbild.atWortlaut der Predigt von Kardinal Christoph Schönborn beim Stadtumgang zum Fronleichnamsfest, 11. Juni 2009, bei der Statio vor der Franziskanerkirche.

Ev: Mk 6,34-44

Gelobt sei Jesus Christus!

Verehrter lieber hochwürdigster apostolischer Nuntius, liebe Mitbrüder im priesterlichen, diakonalen Dienst, liebe Seminaristen, Ordenschristen, Schwestern und Brüder, Vertreter des öffentlichen Lebens, der Universität, des Militärs, der farbtragenden Studenten, der Studentenschaft, liebe Kinder, liebe Brüder und Schwestern!

"Unmöglich können wir schweigen, über das was wir gesehen und gehört haben" (Apg 4,20). Mit diesen Worten haben die beiden Apostel, Johannes und Petrus vor dem Hohen Rat erklärt, warum sie nicht bereit sind, den Namen Jesu zu verschweigen, wie man es ihnen befohlen hatte. Sie sollten den Namen Jesu nicht mehr nennen dürfen. Man droht ihnen mit Strafe, Verfolgung, Verurteilung, ja mit dem Tod. Doch sie können unmöglich schweigen über das, was sie gesehen und gehört haben. Was sie haben nicht eine Theorie, nicht irgendeine Lehre, gesehen und gehört, sondern jemanden: Jesus. Sie haben ihn kennen, lieben gelernt. Sie haben ihn erlebt. Sie können nicht schweigen über ihn, so ist es durch die Jahrhunderte geblieben.

In den ersten drei Jahrhunderten hat sich das Christentum, durch römische Soldaten, durch Händler, Kaufleute, durch Menschen die im römischen Reich auch bis an die Grenzen gekommen sind, verbreitet. Es ist auch bis zu uns gekommen. Wenn man bedenkt, dass das ohne Macht, ohne politische Unterstützung, ja im Gegenteil, meistens sogar unter Verfolgung, Ablehnung und Widerstand geschehen ist, dann ist eines klar: Nur durch das persönliche Zeugnis konnte sich das Christentum verbreiten. So war es zumindest, bis Kaiser Konstantin gemerkt hat, dass diese Christen, die man bisher verfolgt hat, eine Kraft im Reich sind, auf die man sich stützen kann. So kam es dann unter seinen Nachfolgern dazu, dass das Christentum die Staatsreligion wurde. Damit begann die große Zeit der Christenheit, die viele Jahrhunderte dauern sollte. Viele Völker, Stämme, ganze Reiche ließen sich taufen, wurden christlich. Und mit ihrer Hilfe verbreitete sich das Christentum unter den Völkern Europas und im zweiten Jahrtausend in der ganzen Welt, freilich auch mit wirtschaftlicher, militärischer, politischer Macht und dementsprechenden Druck.

Heute, am Beginn der dritten Jahrtausends, sind wir wieder in einer ähnlichen Situation wie in den ersten Jahrhunderten, wenn auch mit dem Unterschied einer zweitausendjährigen Geschichte des christlichen Glaubens. Wieder tritt das persönliche Zeugnis in den Vordergrund. Es ist nicht der Kaiser und auch nicht die Republik, die die Religion verbreitet. Sie wird in unserem Land toleriert und hat einen guten gesetzlichen Rahmen. Die Religionsfreiheit ist ein kostbares Gut. Und dennoch ist heute wieder neu und in ganz entschiedener Weise das Zeugnis notwendig.

So richtet sich an uns alle die Frage, was es denn ist, worüber wir unmöglich schweigen können. Was haben wir gesehen, und erfahren über das wir Zeugnis geben müssen? Ist es die Kirchenkritik? Sicher gibt es in der Geschichte und bis heute viele Gründe, auch mit der Kirche, das heißt mit uns Christen, unzufrieden zu sein, auf uns mit dem Finger zu zeigen, die Kirche zu kritisieren. Worüber können wir nicht schweigen? Auch heute kann die Antwort nur die sein, die die beiden Apostel damals kurz nach Pfingsten in Jerusalem gegeben haben: Wir können unmöglich schweigen über den, den wir kennen, lieben gelernt haben, über seine Freundschaft, über die Gemeinschaft mit ihm, was er uns bedeutet, was wir ihm verdanken. Wenn ich auf mein eigenes Leben schaue, muss ich sagen: Der einzig wirklich tragende Grund, warum ich Christ sein möchte, ist um Christi willen. Seine Freundschaft ist die Grundmelodie meines Lebens, das tragende Fundament, meine Freude. Es gibt eigentlich keine andere Traurigkeit, als die, dass Dinge geschehen, die diese Freundschaft trüben.

Apostelgeschichte 2010, unter diesem Namen habe ich unsere ganze Diözese eingeladen, einen missionarischen Weg, einen Weg des Zeugnisses zu gehen, so wie ihn die Apostelgeschichte für die Anfangszeit der Kirche festgehalten hat. Sie sind von Stadt zu Stadt, von Land zu Land gegangen und haben Christus bezeugt. Zu nichts anderen, als zur Erfahrung des Glücks dieser Freundschaft mit dem auferstandenen, gegenwärtigen Herrn, ihn kennen zu lernen, dazu wollen wir einladen. Oft sage ich zu Ausgetretenen: Wenn ich Ihnen doch nur vermitteln könnte, was es für ein Glück ist Christ zu sein. Ich weiß, wenn sie diese Erfahrung nicht gemacht haben, dann ist es schwer daran zu glauben, aber ich kann es ihnen bezeugen.

Letztlich ist es das, was wir eben im Evangelium gehört haben: Als Jesus die vielen, vielen Menschen sah, war er bis ins Innerste ergriffen von Mitleid (Mk 6,34). Das hebräische Wort, das dahinter steht, bedeutet ein Ergriffensein bis in die Eingeweide. Die rachamin, das "Innerste", das ist auch das Wort für den "Mutterschoß". Jesu Barmherzigkeit, Jesu Leidenschaft für die Menschen, besonders für die, wie es heute im Evangelium heißt, von denen er den Eindruck hatte, sie sind "wie Schafe ohne Hirten". Das bedeutet, sie sind orientierungslos, haben im Leben nicht diesen wunderbaren Halt, den der Glaube gibt. Jesus ist ergriffen vom Mitleid mit den Menschen, nicht von oben herab, sondern aus dem innersten Herzen. Dieses Mitleid, diesen Blick, diese Sichtweise, das Herz Jesu ist es, worauf es ankommt.

Aber, Brüder und Schwestern, da ist noch einen andere Erfahrung, von der wir eben im Evangelium gehört haben: Woher sollen wir Brot für so viele nehmen? Fünf Brote und zwei Fische, was ist das für 5000 Menschen, es reicht ja kaum für uns? Und so ist das Gefühl vieler Christen in unserem Land. Wie sollen wir kleine Schar so vielen das Evangelium bringen, wie sollen wir das schaffen? Das schaffen wir alleine nicht, es ist einfach zu viel von uns verlangt, wenn Jesus sagt: "Gebt ihr ihnen zu essen!" (Mk 6,37). Das ist scheinbar eine Überforderung. In Österreich hat die Kirche in den letzten Jahren manche Demütigung erlebt. Sehr viele haben sie verlassen, sich abgewendet, enttäuscht, oder was fast noch schmerzlicher ist, desinteressiert. Die Kirche war und ist gedemütigt, für viele lächerlich, eine Randerscheinung, einfach uninteressant. Das Leben spielt sich anders wo ab. Es spielt nicht unsere Melodie.

Brüder und Schwestern, heute im Angesicht Jesus, in seiner Gegenwart lade ich sie ein: Sagen wir ja zu dieser Armut. Sagen wir ja auch zu unserer nicht so glorreichen Situation als Katholiken in unserem Land. Aber sagen wir es beherzt, denn Jesus erwartet von uns, dass wir seine Haltung, seine Leidenschaft für die Menschen im Herzen tragen, damit wir ihnen etwas von dem weitergeben, was nur er geben kann: Den Sinn des Lebens, die Freude am Leben, das Ziel des Lebens. Sind wir bereit, Herr dir alles in die Hände zu legen: Unsere paar Brote und Fische, das wenige das wir haben? Sind wir bereit, alles in deine Hände zu legen, damit du aus dem wenigen genügend für alle machen kannst? Hier in deiner Gegenwart im Sakrament sagen wir dir, Herr, unsere Bereitschaft, von dir und von der Freundschaft mit dir Zeugnis zu geben durch Worte, und noch mehr durch unseren Blick, unser Verhalten, unser Tun und Denken. So lege ich am Schluss allen das Gebet für Apostelgeschichte 2010 ans Herz. Beten wir es jetzt und in den nächsten Monaten für den großen Missionsweg in unserer Diözese:

Herr Jesus Christus, du bietest uns deine Freundschaft an. Durch deine Gegenwart schenkst du uns Freude in Fülle, und gibst uns Hoffnung, du hast uns durch die Taufe in deine Gemeinschaft gerufen. Wir sind bereit deine Zeugen in unserer Welt zu sein. Im Vertrauen auf deine Liebe und Barmherzigkeit lassen wir uns senden. Stärke uns mit deinem Hl. Geist. Lass dein Licht durch uns leuchten, damit wir als wahrhaft Liebende, Licht der Welt sein können und so zum Segen für unsere Mitmenschen werden. Amen.

+ Christoph Kardinal Schönborn
Erzbischof von Wien

(red)


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